Historisches
Ein gescheiterter Reformationsversuch in Salz
nach Forschungen von Franz Herwig
Vorbemerkung:
Den folgenden Aufsatz aus dem Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, Band 1 (1949) S. 136-165 drucken wir in Auszügen mit freundlicher Genehmigung des derzeitigen Hauptschriftleiters nach. Eigene Anmerkungen und Ergänzungen haben wir kursiv gesetzt (Salz, im August 2016).
Die ehemalige Pfarrei Salz bildete in früheren Jahren nur das "Unterkirchspiel Salz". („Kirchspiel“ nennt man den geografischen Einzugsbereich einer Kirchengemeinde.) Die einem frühen Bischof von Metz, dem hl. Adelphus, geweihte Kirche in Salz bestand nach Gensicke "sicher schon ..., als 879 der Sprengel der Stiftskirche von Gemünden abgegrenzt wurde" (vgl. Hellmuth Gensicke in: Heimatchronik des Westerwaldkreises, Köln, 1978 S. 95). Die ganze jedenfalls vor 1150 gegründete Pfarrei umfasste bis zum 17. Jahrhundert auch noch das "Oberkirchspiel" mit Schönberg-Möllingen und Hahn. Seit 01.01.2016 gehört dieses ehemalige "Oberkirchspiel" zu unserer gemeinsamen neuen Pfarrei Liebfrauen Westerburg.Die Salzer Kirche wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts errichtet. Ihre Ähnlichkeit mit St. Johann in Niederlahnstein lässt Beziehungen zur dortigen Bauhütte vermuten. Vielleicht haben auch auswärtige Baumeister, die in Lahnstein arbeiteten, die Wahl des sonst in Nassau nicht vorkommenden Patrons St. Adelphus angeregt, dessen Kult damals einen neuen Aufschwung nahm. Die erst urkundliche Erwähnung eines Salzer Pfarrgeistlichen (Priester Albert) in unserem Pfarrarchiv stammt aus dem Jahre 1211. Auch in dem 1225 abgeschlossenen „Oculus Memorie“ des Klosters Eberbach wird dieser „Priester Albert von Salz“ erwähnt. Auf den nächsten Salzer Pfarrer (Plebanus) wird im Jahre 1234 hingewiesen ("Wigandus, plebanus in Salce", d.h. „Wigand, Pfarrer in Salz“; vgl. Staatsarchiv Wiesbaden, St.A.W. 40 Urk. 15. C.D. Vogel, Beschreibung des Herzogtums Nassau. Wiesbaden 1843 S. 743)... Das Patrozinium ist erstmals in den Visitationsprotokollen von 1657 und 1664 erwähnt (Diözesanarchiv Limburg)...
Bei der Teilung der Grafschaft Diez im Jahre 1564 ... fielen die alten Mutterpfarreien des heutigen Dekanates Meudt (Hundsangen, Meudt, Nentershausen und Salz) an das katholische Kurtrier und hatten infolgedessen mit dem "Trierischen Land" des Westerwaldes über die Stürme der Reformationszeit hinweg den katholischen Glauben bewahrt. Kurz zuvor ist allerdings mehrere Jahre hindurch der Versuch gemacht worden, das alte Pfarrdorf Salz und seinen weit ausgedehnten Sprengel für die neue Lehre zu gewinnen. Dabei kam es zu mancherlei Wirren, die ihren Niederschlag in einer Reihe noch vorhandener Aktenstücke gefunden haben, so dass über diese Vorgänge mehr Quellenmaterial zur Verfügung steht, als es sonst für das 16. Jahrhundert im nassauischen Gebiet bei abgelegeneren Landpfarreien im allgemeinen der Fall ist.
Dieser Reformationsversuch ging aus von Graf Wilhelm dem Reichen von Nassau-Dillenburg (1516 - 1559) oder, wie er sich selbst nannte, von "Nassau-Catzenelenpogen-Vianden und Dietzs". Wilhelm machte hohe Schulden, war also alles andere als reich. Sein Beiname ist wohl eher auf seinen Kinderreichtum (14 Kinder) zurückzuführen.
Nach dem Aussterben des alten Diezer Grafengeschlechtes im Jahre 1388 hatten nämlich die Dillenburger deren Territorium geerbt. Sie mussten sich allerdings später mit den Eppsteinern und Katzenelnbognern, zuletzt mit Hessen und Königstein ... den Besitz der Grafschaft teilen. Wilhelm dem Reichen war es ... im katzenelnbogischen Erbvertrag von 1557 zwar gelungen, ... die Mitherrschaft des Landgrafen von Hessen an den diezischen Landen zu beseitigen. Er hatte es aber 1535 hinnehmen müssen, dass der Kurfürst von Trier den königsteinischen Anteil als verfallenes Lehen einzog. Daraus ergaben sich wichtige religionspolitische Auswirkungen für jene Gebiete.
Graf Wilhelm war 1530 zum Luthertum übergetreten und hatte in seinen altdillenburger Stammlanden die neue Lehre eingeführt. In den diezischen Gemeinden hätte er zweifellos gern das Gleiche getan, jedoch behinderte ihn hier das Kondominium (= die Mitherrschaft) des Kurfürsten von Trier. In den Kirchspielen der Grafschaft Diez saßen neben den nassauischen Amtmännern, Kellnern und Schultheißen auch kurtrierische (vgl. z.B. St.A.W. 171 D 253 Fol. 2, 171 S. 469 fol. 7, Beilage 12), die darüber wachten, dass der Bekenntnisstand nicht geändert wurde. So verzichtete ... Wilhelm darauf, bevor er sich mit dem Kurfürsten über die strittigen Hoheitsrechte geeinigt hatte, die neue Konfession in seinen diezischen Gemeinden einzuführen ? mit einer Ausnahme, und das war in Salz. Als die Pfründe (= kirchliches Amt mit selbständigem Einkommen für den Amtsinhaber) in den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts vakant geworden war, ... bot das von den Diezer Grafen ererbte Patronatsrecht die Handhabe, hier einen lutherischen Prädikanten (= Prediger) als Pfarrer einzusetzen und so das Kirchspiel für die neue Lehre zu gewinnen. Graf Wilhelm wurde dabei von seinem Dillenburger Superintendenten Bernhard Bernhardi beraten, dem Sohn eines katholischen Priesters... Er wurde 1528 in Frankfurt geboren ... und hatte als nassauischer Stipendiat in Wittenberg studiert. Hier war er am 30.05.1549 immatrikuliert worden und hatte schon am 14.08.1550 den Grad eines Magisters artium liberalium erworben, der etwa unserer philosophischen Doktorwürde entspricht. Nach Beendigung seiner Studien wurde er von Graf Wilhelm als „bestallter Rektor und Schulregent“ 1553 nach Siegen berufen und bereits 2 Jahre später mit der Leitung des nassau-dillenburgischen Kirchenwesens betraut. Er führte zunächst den Titel „Inspector nassoviarum ecclesiarum“ (= Nassauer Kirchenaufseher). Seine endgültige Bestätigung als Superintendent (= leitender Geistlicher eines evangelischen Kirchenkreises) erfolgte 1558.
Bernhardi sollte nun im Auftrag von Graf Wilhelm die Pfarrei Salz mit einem lutherischen Prädikanten oder Prediger besetzen. Er sorgte dafür, dass sein eigener Schwager, der Mann seiner jüngeren Schwester Katharina, Burkhard Bernstein aus Nürnberg, die Stelle erhielt. Auch dieser hatte in Wittenberg studiert. Als Burchardus Bernsteyn erscheint er am 17.05.1552 im Immatrikulationsbuch. Nach seiner Ordination empfahl in Melanchthon 1555 dem neu ernannten dillenburgischen Inspektor als Lehrer für die Lateinschule in Siegen.
Am Mittwoch nach Walpurgis, dem 04.05.1558, ... wurde Burkhard Bernstein zum Pastor von Salz ernannt (St.A.W. 170 Urk. 5221)und blieb hier bis zum März 1563. Sein ebenfalls lutherischer Nachfolger, Pastor Tilman Krumer, bekleidete die Stelle wohl noch bis 1565 und wurde dann wieder von einem katholischen Pfarrer (Michael von Herzig) ersetzt. (Alle Datumsangaben in diesem Text stammen übrigens noch aus der Zeit vor der Gregorianischen Kalenderreform von 1582, bei der zehn Tage ersatzlos gestrichen wurden. Auf den 04.10. folgte nämlich nicht der 05.10., sondern der 15.10.1582. Unser heutiger Kalender geht dem julianischen daher zehn Tage voraus. Rechnet man also zehn Tage zurück, erhält man das unserem heutigen Kalender entsprechende Datum).
Bernhardi glaubte wohl, seinen Schwager gut untergebracht zu haben. Hat er doch später selbst einmal, wenn auch vielleicht ein wenig übertreibend, Salz „die fürnehmste pfarr“ in der Grafschaft Diez genannt (vgl. StA.W. 116 Mont. III. 1 fol. 24-36). Die Bestallungsurkunde aus Pergament, in der Breite eines halben Meters mit schwungvollen Schriftzügen ausgefertigt, ist noch im Wiesbadener Staatsarchiv vorhanden (St.A.W. 170 Urk. 5221). Graf Wilhelm belehnt, versieht und begibt darin „als patronus unnd collatorr den wirdigen, unsern lieben andechtigen hern Burckhardum Börnstein vonn Nuimbergk mit unser pastorey zu Saltz mit allen iren rechten und zugehörden, aus gnaden unnd umb Gottes willen sein leben lang ... hiemit und in krafft diß brieffs also und dergestalt, das er obben die pastorey und pfarvolck darin gehorig mit predigen und verkundigung gottlicher worts, sacrament reychen, beycht horenn, tauffen und andern christlichen cermonien, kirchendinsten und gebreuchenn, alles nach laudt und inhalt der augspurgischen confession, vleissig und treulich versehenn und verwalten“ solle. Ein beispielhafter Lebenswandel wird dem neuen Pfarrherrn noch eingeschärft und ihm dann das Anrecht auf die Liegenschaften und Einkünfte der Pastorei Salz auf Lebenszeit übertragen. Die Erfüllung seiner Pflichten hatte Bernstein eidesstattlich mit Handschlag versprechen und einen Revers gleichen Inhalts beim Grafen hinterlegen müssen.
Nach einem im Jahre 1564 aufgestellten Kirchspielverzeichnis gehörten zur Pfarrei Salz 29 Dörfer mit insgesamt nur 148 Feuerstellen. Damals wurden ... mehrere allein liegende Höfe bereits als ... Dorf bezeichnet. Das Pfarrdorf selbst hatte nur 6 Feuerstellen. Man wird etwa 6 - 7 Personen auf eine Feuerstelle rechnen können... Auch wenn wir das unmittelbar angrenzende „Rod“ (= heutiger Ortsteil Roth) hinzurechnen, sind es immer noch bloß 14 Häuser. 178 Leibeigene wurden im Kirchspiel gezählt. Alles in allem werden zum ganzen Sprengel kaum mehr als 1000 Seelen gehört haben. (Die Leibeigenschaft bezeichnet eine im Mittelalter weit verbreitete persönliche Abhängigkeit von Bauern von ihrem Grundherren. Die leibeigenen Bauern bewirtschafteten Höfe, die ihren Grundherren gehörten, und mussten dafür Pacht zahlen. Daneben waren sie zu Frondiensten verpflichtet und mussten, sofern der Grundherr aus dem Klerus stammte, ihm einen Zehnt leisten. Frondienste umfassten eine sehr breite Palette der verschiedensten Tätigkeiten für eine festgelegte Zahl von Tagen pro Jahr. Normalerweise leisteten die Bauern sogenannte Hand- und Spanndienste (Scharwerk). Handdienste bestanden beispielsweise darin, dass die Bauern auf den Feldern des Grundherrn Unkraut jäten mussten oder sonstige Mithilfe bei der Feldbestellung erbrachten. Bei den Spanndiensten mussten die Fronarbeiter z. B. das Feld pflügen. Der Begriff der Spanndienste bezieht sich auf das Einspannen eines Ochsen oder eines anderen Tieres vor den Pflug.)
| Orte | Feuer- stellen (Häuser) |
| Einwohner ca. |
1) | Salz | 6 | à 6,5 Bewohner = | 39 |
2) | Roden (Roth, Ortsteil von Salz) | 8 |
| 52 |
3) | Hausen (zwischen Salz u. Dorndorf; vgl. auch | 5 |
| 33 |
4) | Neuroth | 2 |
| 13 |
5) | Bülckheim (Bilkheim) | 5 |
| 33 |
6) | Wanscheidt | 7 |
| 46 |
7) | Herschbach | 7 |
| 46 |
8) | Saynscheidt | 9 |
| 59 |
9) | Wersdorf (Guckheim) | 8 |
| 52 |
10) | Mehren (Mähren) | 6 |
| 39 |
11) | Kölbingen | 8 |
| 52 |
12) | Berg | 2 |
| 13 |
13) | Schönberg | 1 |
| 7 |
14) | Müllingen (Möllingen) | 2 |
| 13 |
15) | Hertlingen (Härtlingen) | 5 |
| 33 |
16) | Westert | 2 |
| 13 |
17) | Elben (Ortsteil von Kaden) | 6 |
| 39 |
18) | Zur Keuthen (Kaden) | 2 |
| 13 |
19) | Hof Witzelbach | 1 |
| 7 |
20) | Brandscheid | 7 |
| 46 |
21) | Pfeifensterz (Ortsteil von Rothenbach) | 9 |
| 59 |
22) | Rodenbach (Rothenbach) | 7 |
| 46 |
23) | Himburg (Ortsteil von Rothenbach) | 6 |
| 39 |
24) | Haindorf (Ortsteil von Rothenbach) | 2 |
| 13 |
25) | Obersayn | 6 |
| 39 |
26) | Haan | 9 |
| 59 |
27) | Uf der Sain bei dem Schlag (zwischen Ober- u. Niedersayn) | 2 |
| 13 |
28) | Elmungen (Elbingen) | 6 |
| 39 |
29) | Niederhaan | 2 |
| 13 |
|
| 148 === |
| 968 === |
Wir dürfen annehmen, dass der neue Pfarrer sich eingehend mit seinem Schwager Superintendent über die bei der Einführung der lutherischen Lehre zu wählenden Methoden besprochen hat und nicht ohne grundsätzliche Richtlinien an seine Aufgabe herangegangen ist. Damals traf zweifellos auch für Salz zu was Graf Johann VI von Nassau-Dillenburg am 27.01.1565 an Philipp von Hessen über die Grafschaft Diez schrieb. Dort sei „biß dahero das babstumb noch ganz und gar im schwang und übung gewesen“ (St.A. W. 171 D 265 fol. 41). 1564 hat der Kirchenaufseher, Superintendent Bernhardi, in einer langen Denkschrift seine Richtlinien für die Einführung der Neuerung in katholischen Gemeinden niedergelegt (vgl. K. Pagenstecher, Zur Reformationsgeschichte der Grafschaft Diez. Nass. Ann. 39, 1909 Beilage 1. S. 125 - 137). In jenem Jahr fiel der größere Teil der Grafschaft Diez endgültig an Nassau-Dillenburg. Damit sofort der Religionswechsel in die Wege geleitet werden konnte, war die gutachtliche Formulierung jener Richtlinien erfolgt. Es liegt nahe, dass der Dillenburger Superintendent sie nicht erst damals entwickelt hat, sondern inhaltlich schon längst vertrat, wie das ja auch anderswo geschah. So können wir in der Denkschrift von 1564 wohl auch die Grundsätze finden, nach denen der neue Pastor Burkhard Bernstein im Sinne Bernhardis den Versuch gemacht hat, die neue Lehre in Salz einzuführen.
Da erhob sich zunächst die Frage, „welche ceremonien ganz und gar nicht zu dulden seien“. Der neugläubige Ingrimm richtete sich in diesem Zusammenhang an erster Stelle gegen die Messe, „wie dieselbige im babstumb gehalten wird“. Sie sei „eine grewliche und schröckliche abgötterei“ und bedürfe „guter reformation“. Weiterhin wurden verworfen das Wallfahrtswesen, der eucharistische Kult sowie die Weihungen und Segnungen. Unter diesen erregten besonderen Anstoß die Weihe von Wasser und Salz, „gar ein abgöttisch Ding von wegen des exorcismi“, ferner die Benediktion bzw. Konsekration von Altar- und Sterbekerzen, von Kräutern, Feuer und Osterkerze, von Taufwasser, Glocken, Palmen, Gotteshäusern, Altären und kirchlichen Gefäßen.
Neben diesen in 11 Punkten verworfenen Einrichtungen werden nun in 25 weiteren Punkten „mittelding odder ceremonien, so etlicher massen leidlich, tamen sine superstitione et opinione cultus“ (= aber dennoch ohne Aberglauben und kultische Gesinnung) aufgezählt. Hierbei zeigt sich das Bemühen, die Religionsänderung in geschickter Weise zu tarnen. Weil man die Päpstlichen mit Freundlichkeit gewinnen müsse, werde wohl eine Zeitlang noch vieles vom Papsttum geduldet werden müssen, „sonderlich so viel die eusserliche ceremonien belangend“. In diesem Sinne könne man vorläufig beibehalten: Prozessionen, jedoch „ohne umbtragung der götzen und der monstranzen“, den Gebrauch des Weihrauchs „zu erinnerung des gebets und reinigung der luft“, religiöse Bilder, kirchliche Gewänder, Altar- und Sterbekerzen, Salz und Chrisam bei der Taufe, Beerdigungen unter Vorantragung des Kreuzes, Totenwachen, Angelus und Sterbeläuten, Kirchenlieder, die Einsegnung der Eheleute und Wöchnerinnen, ja sogar die Heiligenfeste und Festtage, Kirchweih und Patrozinium, Firmung (in der Art der Kölnischen Reformation) und Beichte. Die Aufhebung des Kreuzes in der Osternacht, die Erhebung des Bildes Christi an Himmelfahrt und das Herablassen der Pfingsttaube können ebenfalls noch für eine Weile gelitten werden. Die Tendenz, unter Beibehaltung äußerer Formen den Inhalt zu verändern, kommt ... recht deutlich zum Ausdruck in dem Vorschlag, die Messe zu dulden, wenn nur Evangelium und Epistel in der Landessprache vorgelesen würden, aber den Kanon auszulassen. Bei der Vesper sollen Kapitel und Kollekte deutsch gesungen werden, im übrigen sei dieser Gottesdienst aber „umb der jugend willen“ beizubehalten. Das Salve Regina (= Sei gegrüßt, Königin) allerdings erregte Anstoß, aber man wusste sich zu helfen und schlug vor, dafür Salve Rex Misericordiae (= Sei gegrüßt, König des Erbarmens) zu singen.
In diesem Sinne mag Burkhard Bernstein vorgegangen sein, als er bald nach seiner Bestallung vom 04.05.1558 in Salz erschien und auch selbst die Seelsorge übernahm. Für das Kirchspiel war das ein durchaus ungewöhnliches Ereignis, denn sein langjähriger Vorgänger Kuno von Brambach, der schon 1507 auf Präsentation des Landgrafen von Hessen hin Pfründeinhaber geworden war, hatte als Chorherr und Stiftsdechant noch in Diez gewohnt... Die Seelsorge ließ er durch einen Kaplan ausüben. 1524 war dies ein Peter von Godenrode, nach 1532 Geilbrecht von Gemünden, der auch noch 1549 als „pherner zu Saltz“ erwähnt wird. Er wird wohl mit dem am 29.08.1549 in Boden als Notarius tätigen Gilbert Westerburg, pherner zu Saltz, identisch sein. Pfarrer Kuno von Brambach starb 1555. Am 08.08.1555 verleiht nämlich Erzbischof Johann von Trier die durch den Tod des Conemann von Brambach, Dechants von Diez, vakant geworden Pastoria Meudt an Johann von Freirachdorf (vgl. St.A.W. 116 Urk. Nr. 177). Nach dem Tode Kunos von Brambach scheint die Pfründe bis zum Eintreffen von Burkhard Bernstein drei Jahre vakant geblieben zu sein.
So ließe sich denken, dass das Salzer Kirchspiel dem neuen Pfarrer, der auch noch unter seinen Pfarrkindern wohnen und wirken wollte, mit Sympathie entgegengekommen wäre. Das war aber nun keineswegs der Fall. Pastor Burkhard Bernstein sollte hier nicht viel Freude erleben. Zunächst mag ihn schon in dieser „fürnehmsten pfarr“ der Grafschaft der schlechte Zustand seiner neuen Behausung enttäuscht haben. Wie fast allenthalben war auch hier der Pfarrhof baufällig. Viel mehr musste es ihn aber kränken, dass er von Anfang an leidenschaftlich bekämpft, beschimpft, ja bedroht wurde. Gleich im ersten Jahr seiner Salzer Wirksamkeit wäre er um ein Haar von einem Gegner erstochen worden.
Neben anderem äußerte sich in diesen Anfeindungen wohl auch die Empörung der katholischen Bevölkerung über den lutherischen Pastor und seine Neuerungen. Insbesondere bereiteten ihm die Stiftsherren von Gemünden bei Westerburg Schwierigkeiten. Sie mögen nach Kräften die Kreise, die an dem althergebrachten Glauben und seinen Bräuchen festhalten wollten, in ihrem Widerstand gegen den Prädikanten (= Prediger) bestärkt haben.
Im Dezember 1558, ein gutes halbes Jahr nach seinem Amtsantritt, erfolgte dann auch ein amtlicher Vorstoß gegen den Salzer Reformationsversuch. Pastor Bernstein erhielt durch eine katholischen Geistlichen - „einen meßpfaffen“, bemerkt er verächtlich - eine schriftliche Aufforderung des Limburger Dekans, ihm die Salzer Kirche zu Abhaltung des Sendgerichtes für das ganze Kirchspiel zur Verfügung zu stellen. Burkhard Bernstein geriet durch diese Aufforderung in keine geringe Verlegenheit. Er wagte es nicht, das Ansuchen einfach abzulehnen, noch weniger wollte er ihm stattgeben. So wandte er sich am 13.12.1558 mit einem Schreiben an Graf Wilhelm und bat um Weisung, wie er sich verhalten solle. Aus seinen Worten klingt keineswegs die Überzeugung, dass die Einführung der neuen Lehre den Wünschen der Bevölkerung entsprach, sondern vielmehr die Furcht, die katholischen Geistlichen könnten Anklang finden, oder, wie er sich ausdrückt, „die schwachen gewissen dadurch geergert, verwirret und verderbt werden“. Zum Schluss verleiht er seinem Abscheu gegen den alten Glauben Ausdruck in dem Wunsche, dass er „obgemelten grewlichen sünden und des erschröcklichen zorns Gottis mit den mespaffen nit theilhafftig werde, für welchem der almechtige durch seinen lieben sohn und unsern herren Jesum Christum uns alle zeit behuten wölle“. Bernsteins Brief an Graf Wilhelm vom 13.Dezember 1558 hat folgenden Wortlaut (vgl. Staatsarchiv Wiesbaden 171 S. 469 fol. 3):
„Wolgeborner grave, genediger Herr! Es hat E.G. (= Euer Gnaden) superintendens mich mit E.G. furwissen und verwilligung zu E.G. pfarkirchen Saltza beruffen, daselbest das heilige wort Gotes nach vermög der augspurgischen confeßion rein und lauter zupredigen und die christliche sacrament nach unsers herren Jesu Christi selbs einsetzung zureichen. Nachdem aber in gemelte E.G. pfarkirchen Saltza wider solchem bevehle nachzukomen hinternißen itziger zeit einreissen, kann oder solle ich dasselbige E.G. mit nichten verpergen. Es hat der decant zu Limburg durch einen meßpaffen an mich schrifftlich begert, ihm uff ein bestimpten tage das gantze kirspell volck zur versamlung bescheiden und in der pfarkirchen nach ihrem gebrauch den synodum zuhalten und zupredigen vergöhnen. Dieweil aber bey solchem actu viel böse, abgötische und den seelen schedliche mißbreuch geschehen, welche dem wort Gottis lesterlich, meinem beruff und arbeiten verhinterlich und entgegen sindt, auch die schwachen gewissen dadurch geergert, verwirret und verderbt werden, so bite ich unterthänglichst E.G. umb ein genedige antwurt und unterricht, wes ich mich hirinen zuhalten habe, uff das Gottes ehr gesucht und gefurdert werde, sein wille geschehe, E.G. bevehle volbracht, ich obgemelten grewlichen sünden und des erschröcklichen zorns Gottis mit den mespaffen nit theilhafftig werde, fur welchem der almechtige durch seinen lieben sohn und unsern herren Jesum Christum uns alle zeit behuten wölle. Datum in E.G. pfarkirchen Saltza, am tag Luciae anno LVIII.
E.G. unterthänigster
Burckardus Berenstein,
diener in der pfahr Saltz.“
Die Antwort des Grafen erfolgte umgehend am 18. Dezember 1558. Mit leiser Kritik der für überflüssig gehaltenen Anfrage wird dem Pastor bedeutet, ratsamerweise hätte er von sich aus dem Dekan antworten sollen, dass der Graf als Patron und Kollator ihn in Salz angestellt und präsentiert habe, und dass er ohne dessen Vorwissen und Bewilligung eine solche Versammlung nicht gestatten könne. Wenn der Dekan auf seinem Vorhaben bestehe, so möge er sich an den Grafen wenden. Er werde dann die gebührende Antwort erhalten, über die auch Bernstein unterrichtet werden solle.
In diesem Sinne wird wohl ... Bernstein dem Dechanten geantwortet haben. In Limburg verzichtete man dann offenbar auf den ganzen Plan. Man mochte es nicht für tunlich halten, wegen eines Einzelfalles einen Konflikt heraufzubeschwören, zumal sonst in der Grafschaft Diez alles beim alten blieb.
Außer diesen ersten Anfeindungen von katholischer Seite haben noch andere Sorgen und Händel Burkhard Bernstein aufs schwerste bedrückt und fast zur Verzweiflung gebracht. Es handelte sich hierbei um die verworrenen Zustände im Oberkirchspiel. Die Schönberger Gemeinde war zwar für die neue Lehre sehr zugänglich, entwickelte aber Selbständigkeitsgelüste, die den Pfarrer nicht gleichgültig lassen konnten. Etwa um dieselbe Zeit, als Bernstein in Salz ankam, hatte sie sich einen jungen Westerburger, Anton Moser, ... für ein Jahresgehalt von 60 Gulden zum Prädikanten bestellt... Dabei hatten sie weder den Pfarrer, noch den Amtmann, noch die Dillenburger Amtsstellen um Erlaubnis gefragt. Wegen dieser willkürlichen Besetzung waren die Schönberger mit ihren eigenen Kirchenvorstehern zerfallen, wählten sich neue Obmänner und bezahlten ihren Prädikanten (Prediger) aus den laufenden Einnahmen. Dieser mag immerhin selbst eingesehen haben, dass seine Stellung ohne amtliche Ernennung auf die Dauer unhaltbar war, und erreichte nach einem halben Jahr vom Grafen Wilhelm seine Bestätigung. Zugleich aber mussten der dillenburgische Amtmann der Grafschaft Diez, Andreas von Brambach, und der Superintendent Bernhardi die finanziellen Verhältnisse nachprüfen und kamen zur Feststellung, dass die Gemeinde gar nicht imstande war, die 60 Gulden aufzubringen. Die Anhänger des neuen Prädikanten erklärten, das sei nur die Schuld des früheren Pfarrers Kuno von Brambach. Zur Kapelle habe ein Hof gehört, von dessen Einkünften ein Geistlicher unterhalten werden könne. Den habe Pfarrer Brambach von dem Kirchenvermögen abgetrennt und an seine Leibeigenen verliehen. Dasselbe behauptete die Gemeinde in einer Bittschrift an den Grafen. Da aber hierdurch die missliche Vermögenslage nicht gebessert wurde, verließ Prädikant Anton Moser 1559 nach 1½ -jähriger Tätigkeit bereits wieder Schönberg und nahm eine Schulrektorenstelle in Weilburg an. Nur die Hälfte der festgesetzten Besoldung hatte er erhalten und suchte nun von seinen neuen Stellen aus (1562 war er Pfarrer in Altenkirchen, 1563 Pfarrer in Weilburg) vier Jahre lang mit zäher Beharrlichkeit beim Grafen, Superintendenten und Amtmann durch mündliche Vorstellungen, in flehentlichen Bittschriften und durch Vermittlung seines Vaters zu seinen restliche 45 Gulden zu kommen... Er wurde immer wieder mit leeren Vertröstungen hingehalten, höchstens erging einmal eine wirkungslose Mahnung an die Gemeinde Schönberg. Man ließ offenbar Moser fühlen, wie sehr man ihm die rechtswidrige Anstellung im ersten halben Jahr verübelte. Erst am 8.10.1963 erzielte er eine Entscheidung der gräflichen Visitatoren, die ihn gewiss enttäuscht hat. Nur 15 Gulden wurden ihm aus den Einkünften einer säkularisierten Bruderschaft in Hadamar zugesprochen als Rest des vereinbarten Jahresgehaltes. Für das erste halbe Jahr seines Schönberger Dienstes solle er sich an die Gemeinde oder an die dafür haftenden Bürgen halten...
In dem Oberkirchspiel hatten sich nach dem Weggang Mosers die Gemüter keineswegs beruhigt. Da auf dessen fortgesetzte Gesuche hin die Gemeinde immer wieder aufgefordert wurde, zu berichten und die rückständige Summe zu zahlen, richtete sich die wachgehaltene Erbitterung gegen die Amtspersonen, die diese Mahnungen aussprachen, nicht zuletzt auch gegen Pfarrer Bernstein, der bereits deshalb missliebig geworden war, weil er die alten Kirchenmeister unterstützte und die neu gewählten nicht anerkannte. Moser selbst scheint im Einvernehmen mit dem Salzer Pastor geschieden zu sein, gegen den er auch später in seinen Bittschriften nie ausfällig wird. Bernstein lieh ihm sogar beim Abschied 6 Gulden, für die er sich allerdings einen Schuldschein ausstellen ließ. Für die Mehrbelastung, die ihm und seinem Kaplan durch Mosers vorzeitigen Weggang erwuchs (er hatte mit der Gemeinde ausgemacht, gegen 15 Gulden noch ein weiteres Vierteljahr Dienst zu tun), schickte ihm Moser von Weilburg aus ein Ohm Wein nach Salz. Bernstein bemühte sich im Sommer 1560, die restliche Geldsumme für seinen Amtsbruder aufzutreiben. Mit seinem Schwager, dem Kirchenaufseher Bernhardi, hatte er verabredet, dafür Schuldverschreibungen der Schönberger Kapelle zu verwenden. Er wurde dann auch ausdrücklich von den Räten des Grafen Johann dem Älteren,... der inzwischen seinem 1559 verstorbenen Vater Wilhelm dem Reichen nachgefolgt war,... dazu angewiesen, für die Auszahlung von 30 Gulden an Moser zu sorgen. Da aber kein Kapellenschuldner zahlen konnte oder wollte, ließ Pfarrer Bernstein durch die Schönberger Kirchenmeister dem früheren Prädikanten Moser, als dieser immer wieder vorstellig wurde, eines Tages in Salz vor zwei Schöffen und anderen Zeugen aus der Gemeinde zwei Schuldverschreibungen über 24 Gulden aushändigen. Verschreibungen über weitere sechs Gulden hat sich der Pfarrer damals offenbar selbst geben lassen, um so sein an Moser geleistetes Darlehen zurückzuerhalten. Er mochte denken, sie in Schönberg gelegentlich leichter einlösen zu können und ahnte nicht, welche Schwierigkeiten ihm daraus erwachsen würden. Aber noch nicht einmal dieser papierene Anspruch auf 24 Gulden sollte Moser bleiben, denn nun mischte sich der kurtrierische Amtmann der Grafschaft, Dietrich von Diez, ein und untersagte ihm die Verwendung der Verschreibungen. Er sah sich sogar gezwungen, die Briefe dem Amtmann von Brambach zurückzugeben, der sie dem Pastor aushändigte. Dieser übergab sie wieder den Kirchenmeistern zur Verwahrung.
Der trierische Amtmann hatte wohl den Vorwurf der Veruntreuung kirchlicher Vermögenswerte erhoben und im Sinne seines katholischen Kurfürsten handeln wollen, wenn er gegen den lutherischen Prädikanten vorging. Zwar war Bernstein in seiner Stellung als Pfarrer durch das Patronatsrecht des Nassauers gedeckt. Aber der Versuch, Moser auch für die Zeit, in der er ohne amtliche Bestallung den Dienst versah, aus kirchlichen Mitteln zu bezahlten, konnte als Veruntreuung aufgefasst werden. Der trierische Amtmann muss ziemlich energisch aufgetreten sein, denn die Schönberger Kirchenmeister Jung Till von Sainscheid und Heinrich Hopman von Schönberg stellen noch über ein Jahr später am 13. Oktober 1562 fest, dass ihre Kapelle, ja sie selbst „bey den trierischen in ohngenade und grosse ohnruhe komen“, weil sie dem Prädikanten überhaupt Zahlungen geleistet hatten.
Doch auch von ihrer eigenen Gemeinde mussten sich die beiden Kirchengeschworenen den Vorwurf unredlicher Verwaltung des Kapellengutes gefallen lassen. In ... einem Bittgesuch an den Grafen behauptete die Schönberger Gemeinde, seit 24 Jahren sei von ihnen und ihren Vorgängern keine Rechnungen mehr abgelegt worden, überhaupt seien sie nicht rechtmäßig eingesetzt und vereidigt, und zuletzt hätten sie gar „der kirchen brieff und sigil entnomen, beraubt und ... gestohlen“. Die Kirchenmeister verteidigten sich in einem ausführlichen Rechtfertigungsschreiben am 13. Januar 1561 und beschuldigten ihrerseits die Gemeinde, dass sie „ohn alles mitwißen und verwilligen einiges kirchgeschworns, pastor, kirchbereyter, amptmans oder bevehlhabers“ oder sonst einer vom Grafen dazu verordneten Person „uß eignen mutwille“ den Prädikanten bestellt hatten. Dann wiesen sie darauf hin, dass sie selbst von dem früheren Pfarrer Kuno von Brambach vorschriftsmäßig eingesetzt und vereidigt worden seien und auch auf Verlangen immer Rechenschaft abgelegt hätten. Bei der angeblichen Veruntreuung von „der kirchen brieff und sigil“ handle es sich nur um die auf gräfliche Anordnung hin erfolgte Übergabe der Schuldverschreibungen an Moser. Sie beklagen sich auch über die häufigen Gemeindeversammlungen, wo „jung und alt, weib und man“ um unnötiger Dinge willen zusammenliefen und dann noch Schadenersatzansprüche an die Kapellenkasse stellten. Zum Schluss erwähnen sie, dass auch Pfarrer Bernstein in der Gemeinde heftig abgelehnt wird. Das äußere sich in „traw wort, so etliche unter der gemein wider uns und den pastorn trotzentlich ußgießen“ (vgl. St.A.W. 116 Schönberg 1).
Der Salzer Schultheiß (= Gerichtsbeamter, „der Schuld heischt“, d.h. der im Auftrag eines Landes-, Stadt-, Dorf- oder Grundherrn Abgaben einzieht oder Verpflichtungen auferlegt; auch Dorfvorsteher oder Bürgermeister) Peter Haß bestätigte am 20. Januar 1561 die Erklärung der Kirchenmeister und benutzte die Gelegenheit, die gegen den früheren Pfarrer Kuno von Brambach erhobene Anschuldigung richtig zu stellen. Nicht an seine Leibeigenen habe dieser den zur Schönberger Kapelle gehörenden Hof verliehen, vielmehr seien die Einwohner des „Kirchhauses“ bis auf einen Leibeigene des Grafen. Gleichwohl habe Brambach ihnen seinen eigenen angrenzenden Hof „zur besseren underhaltung ... gegunt und verlent“ (vgl. St.A.W. 171 S. 468 f. 7).
Bernstein kannte die gegen ihn herrschende Abneigung wohl. Bitter klage er sich im Sommer 1561 über die Lügen und Schmähungen, die gegen ihn in Umlauf gesetzt worden seien, do dass auch die Gutgesinnten ihn mit Missgunst und Hass betrachteten. Schwere körperliche Leiden hatte er noch zudem gehabt. Zwar war er jetzt von der Krankheit wieder genesen. Die Verhältnisse in der Pfarrei aber wurden immer unerträglicher. Seine Hauptgegner erwuchsen ihm aus der Schönberger Opposition und aus den „Trierischen“.
Als Hauptträger des Schönberger Widerstandes erscheint damals der Junker Wilhelm von Irmtraut, der im Filialdorf Härtlingen wohnte und im benachbarten Westert den „Steinbeuter Hof“ besaß, dazu noch manchen anderen innerhalb und außerhalb des Salzer Kirchspiels. Als „Junker“ („Jungherr“) bezeichnete man Adelssöhne ohne Ritterschlag oder junge Edelleute mit Grundbesitz. Humbracht nennt ihn Wilhelm den Dicken zu Härtlingen und Langwiesen. Er ging als dritter und jüngster Sohn aus der Ehe Goderts von Irmtraut ... mit Gertraud Ring von Gaubickelheim hervor und war vermählt mit Anna von Dehrn, der Tochter des Johann Frey von Dehrn ... und Nichte jenes 1550 verstorbene Philipp von Dehrn, dessen schönes Renaissancegrabmal sich noch im Dietkirchener Gotteshaus befindet. Die Familie der Irmtraut entstammt dem sechs Kilometer östlich Westerburg gelegenen gleichnamigen Dorf und kommt vom 14.- bis 18. Jahrhundert vor. In den Westerwalddörfern der damaligen Zeit spielte der kleine Landadel, der ringsum verstreut seine Höfe und Leibeigenen besaß, eine bedeutende Rolle. So waren im Kirchspiel Salz ansässig die Herren von Brambach, aus deren Geschlecht im 16. Jahrhundert eine Anzahl von Hofleuten und Geistlichen hervorgegangen ist, wie Andreas (genannt Endres) von Brambach, der von 1534 bis 1561 dillenburgischer Amtmann der Grafschaft Diez war und sein ältester Bruder Kuno, Diezer Stiftsdechant, Dekan des Landkapitels Dietkirchen, Pastor von Meudt und von 1507 bis 1555 Bernsteins Vorgänger als Pfarrer von Salz. Zwei Neffen der beiden, Wilhelm und Bertram von Brambach, wurden Domherren zu Trier. Kuno und Endres waren Söhne des Siegener Amtmanns Meffarts von Brambach, der von 1496 bis 1529 als Amtmann zu Diez und Hadamar erwähnt wird. Mit unserem Stiftsdechant und Salzer Pastor war ein Onkel gleichen Namens Kanonikus zu Diez. Er wurde im Unterschied zu jenem „Cuno Braembach der eldtter“ genannt und ist 1545 gestorben.
Noch steht am Fuße der Weltersburg der alte Burgsitz des Geschlechtes, das „Brambacher Schlösschen“, wo der Amtmann Endres gewohnt hat. Außerdem waren im Salzer Kirchspiel begütert die Reiffenberger zu Weltersburg, damals vertreten durch Johann und Philipp und ihren Vetter Kuno, Herr von und zu Reiffenberg, der am 21. Juni 1586 starb und in der Salzer Kirche Grab und Denkmal erhielt, ferner die Mudersbacher, Ottensteiner, die Freyen von Dehrn, Junker von Hadamar (Dietrich von Hadamar wohnte damals in Weltersburg), die von Schönholz, von Langenbach und schließlich die Irmtrauts, aus deren Familie auch ein Pfarrer von Salz stammte, Gerhard von Irmtraut, der vor Kuno von Brambach von 1501 bis 1507 die Pfründe besaß. Diese Landjunker hatten zum Teil ihr Erbbegräbnis in der Salzer Kirche und fühlten sich für ihr Gotteshaus mitverantwortlich. Noch hängt dort am Nordportal der prächtige Weihwasserkessel aus Bronze, den im Jahre 1591 ein Hermann Johann von Brambach gestiftet hat, und die Kapelle im nördlichen Seitenschiff mit ihren alten Grabmälern heißt bis auf den heutigen Tag im Volksmund das „Reiffenberger Chörlein“. Die Wappenschlusssteine im gotischen Chorgewölbe erinnern nicht minder an jene alten Geschlechter. Da sehen wir den Brambachschen Turnierkragen und Schrägbalken, die drei Reiffenberger Schrägbalken und den Walderdorffschen Löwen. Die Walderdorffs allerdings kamen erst im 17. Jahrhundert ins Kirchspiel. Sie haben schließlich das Erbe all dieser Landjunker übernommen. Auch der Irmtrautsche Bock begegnet uns auf einem Wappen im Chor der Kirche. Ihn zeigt an erster Stelle ... der Grabstein der Anna Dorothea von Brambach geborene „v. Ehrntrautt“, die als letzter Spross der Härtlinger Linie am 10. Juni 1663 verstarb. Sie war die Gattin des Heinrich Wilhelm von Brambach. Ihre links vor dem Hochaltar hängende Grabplatte trägt die Inschrift: „Anno 1663 den 10 Tag Juny welcher war ein Sontag nachmitag zwichen ein und zwo Uhrn ist in Gott sehlig verschieden die Hochedellgeborne vill Ehrn Thugent same Fraw Anna Dorotea von Ehrntrautt leztlebente Dochter zue Herttlingen Dern der allmechtige Gott Gnaden und an ienem grosen Tag ein fröliche Aufferstehung aller gnädigst verleihen wölle und hatt zue christlichem Andencken und Ehren ihr hinterbliebner Eheliebster der Hochedllgeborner Henrich Wilhelm von Brambach zue Weltersburg diesen Stein aus hertzlicher Affection zue vorgemelter seiner lieben Hausfrawen ver fertigen lassen“.
Ihr nur einen Tag vor ihrem Tode verfasstes notarielles Testament vom 09. Juni 1663 befindet sich noch im Salzer Kirchenarchiv. Wie der Notar Jacoby Nidermayer hierin einleitend bemerkt, ließ ihn Anna Dorothea von Brambach, „des hochehrgeb. ... Henrich Wilhelm von Brambach Eheliebste ... nacher Weltersburg in ihre Behaußung ... kommen, des Nachmittags gegen den Abend in ihr Schlafzimmer berufen...“ Dann hat sie „liegend jedoch guten vernünftig Verstand zuvernehmen geben, welchs gestalt gott der allmächtige Sie mit Leibes Schwachheit heimgesucht und dan nichts gewißer als der Todt, die Stunde aber ungewiß wäre...“ und „weilen sie bis dahin einigr Leibs Erben nit erzielt und der nächsten anverwanden keinen...“ habe, „ihre letzte disposition verordnet.“ Neben Anna Dorothea von Irmtraut und dem Notar Niedermayer haben das Testament als Zeugen unterschrieben die Weltersburger Johan Bauch, Johan Faßel, Johan Zeiß, Linhard Schmidt und Clas Jung und der Westerburger Jonas Sturm.
Anna Dorothea von Brambachs Urgroßvater Wilhelm der Dicke war ... jedenfalls an der Schönberger Kapelle interessiert, in deren Bezirk er wohnte. Vielleicht ist er der besondere Gönner Mosers gewesen. Bernstein kann ihn jedoch kaum von vornherein als gefährlichen Gegner betrachtet haben, sonst hätte er nicht an ihn um diese Zeit , wie uns ein knapper protokollarischer Bericht meldet, Schönberger Schuldverschreibungen „versetzt“. Wahrscheinlich handelt es sich um jene sechs Gulden, die der Pastor dem Moser geliehen hatte, und die er nun gegen den Schuldbrief in bar zurück haben wollte. Um so erstaunlicher nach diesem friedlichen Geschäft ist die maßlose Wut und die wilde Gehässigkeit, die der Junker dann plötzlich gegen Bernstein zeigte. War es nur der Ärger darüber, dass ihm infolge eines Einspruches des trierischen Amtmannes die paar Gulden verloren gingen, oder handelte es sich um den Ausdruck einer schon lange bestehenden Feindseligkeit, die, durch die andauernden Beschuldigungen und Schmähungen gegen Bernstein genährt, nun bei einem an sich ziemlich geringfügigen Anlass zum Ausbruch kam, oder war es den Trierischen gelungen, den Junker für sich zu gewinnen?
Am 5. Sonntag nach Trinitatis („Dreifaltigkeitsfest“), oder, wie wir heute sagen, am 1. Sonntag nach Pfingsten 1561, dem 6. Juli, leistete sich Wilhelm von Irmtraut folgenden tollen Streich gegen den nichts ahnenden Pastor. In der Schönberger Kapelle wurde damals wohl schon, wie noch heute, an diesem Tage, dem Sonntag nach dem Titularfest Mariä Heimsuchung (2. Juli), Kirchweih gefeiert, und der Salzer Pfarrer hatte nach alter Gewohnheit hier für das Oberkirchspiel den Gottesdienst zu halten. Eigenartig genug liegt das Kirchlein auf einem Hügel für sich allein (nur die Brambachs hatten noch einen Hof daneben) zwischen seinen Filialdörfern, umgeben von den Gräbern des Friedhofes, um die sich die Kirchhofsmauer zieht. Als Bernstein nach Beendigung des Vormittagsgottesdienstes die Kirche verließ, erblickte er vor sich, vier bis fünf Schritte von der Friedhofsmauer entfernt, den Irmtrauter, der ihm bewaffnet entgegen trat. Unser Pastor war sich sofort der Gefährlichkeit seiner Lage bewusst. „Noch nicht ein Messerchen hatte ich bei mir“, versicherte er später. Der gräfliche Amtmann, Endres von Brambach, auf dessen Unterstützung er wohl hätte rechnen können, war gerade an diesem Tag nach Siegen gereist. So suchte Bernstein Schutz im Innern der Kirche. Aber der Junker respektierte kein Asylrecht, folgte ihm vielmehr auf dem Fuße und griff ihn an, zunächst mit heftigen Beschimpfungen und dann mit der Waffe. Er stach mit dem Speer auf den Bedauernswerten ein, dem es zum Staunen der Anwesenden gelang, mit den bloßen Händen das Mordinstrument abzuwehren, Recht und Gerechtigkeit fordernd. Er kümmere sich um kein Recht, war die Antwort des Junkers, der dann wild auf Hände und Kopf des Pastors einhieb. Vergebens rief Bernstein die anwesenden Gläubigen zu Hilfe. Sie waren derart durch die Wut und die Drohungen des Junkers eingeschüchtert, dass sie selbst kaum bei Sinnen waren. Der Kampf hörte erst auf, als beide völlig erschöpft waren, „ille verberando, ego vapulando“, wie Bernstein später mit einer gewissen Selbstironie schrieb, er vom Prügeln, ich vom Verprügeltwerden. Nun fing der Irmtrauter noch einmal nach Herzenslust zu schimpfen an, schwor seinem Gegner den Tod und zog dann endlich ab. Aber schon nach anderthalb Stunden war er mit neuen Waffen wieder zur Stelle, als der Nachmittagsgottesdienst beginnen sollte. Auf Anraten des Bürgermeisters zog Bernstein es vor, die Andacht ausfallen zu lassen und nach Hause zu fliehen. Tags darauf kehrte der Amtmann von Siegen zurück. Natürlich beschwerte sich unser Pastor sofort bei ihm und erreichte auch, dass der Amtmann mit dem Bürgermeister den Junker verwarnte.
Doch noch in der gleichen Woche zog sich neues Unheil über dem Pastor zusammen, wahrscheinlich nicht ohne Zutun des Irmtrauters. Der kurtrierische Amtmann der Grafschaft, Dietrich von Diez, teilte dem nassauischen Kellner (= Verwalter) Johann Helling mit, er werde den Pfarrer von Salz wegen Veruntreuung kirchlichen Gutes verhaften und nach Engers verbringen. Bernstein habe aus der St.-Leonhards-Kapelle zu Salz eine Kiste entwendet und in seine Wohnung geschafft, „etlich eysenwerck verkauft“ ? Leonhardskirchen waren oft reich an eisernen Votivgaben (Ketten, Hufen, Nägeln, Figuren) ? und Schuldverschreibungen der Schönberger Kapelle dem Junker Wilhelm von Irmtraut versetzt... St. Leonhard, „der Eisenpatron“, war Schutzheiliger der Gefangenen, der Kranken, der Wöchnerinnen und für alle Bauernanliegen, zumal Wetter und Vieh. Man stiftete bei Gebetserhörung eiserne Ketten (mitunter wurden ganze Kirchen mit riesigen Ketten umspannt), Figuren von Menschen und Tieren verschiedenster Art und Größe, Ackergeräte, Hufe Nägel und Eisenklötze. Es ist begreiflich, dass unser Prädikant es für seine Aufgabe hielt, die Kapelle von dieser „Abgötterei“ zu reinigen. Damit verletzte er aber das religiöse Empfinden der bäuerlichen Bevölkerung, die zäh am althergebrachten katholischen Brauchtum hing. Gleichzeitig sahen Bernsteins grundsätzliche Gegner eine Möglichkeit, polizeilich gegen ihn vorzugehen: Der Prädikant hatte sich die Votivausstattung der Kapelle widerrechtlich angeeignet. Hinzu kamen noch zwei weitere Beschuldigungen: Unterschlagung der Kollekten und Veruntreuung der Schönberger Schuldverschreibungen...
Der Kellner Helling meldete die Sache sofort seinem Dillenburger Grafen. Dieser war von der Anschuldigung offenbar peinlich berührt und ließ noch am gleichen Tage, dem 12. Juli 1561, ein Schreiben an Bernstein ergehen, in dem zwar keine Mitteilung über die angedrohte Verhaftung enthalten ist, wohl aber dem Pfarrer bedeutet wird, wenn die genannten Vorwürfe wahr seien, so hätte er, der Graf, gar kein Gefallen daran, „dieweil es sonder unsern wißen unnd geheiß geschehen“. Er fordert schließlich eingehenden Bericht, was und wie viel an Kirchengut veräußert worden, auf wessen Veranlassung and an wen der Verkauf erfolgt sei.
Leider ist uns dieser Bericht nicht erhalten. Doch können wir seinen Inhalt aus anderen Schriftstücken erschließen. Das „alt eissen“ habe er, so erklärt Bernstein drei Monate später noch einmal dem Amtmann von Brambach, mit Erlaubnis des verstorbenen Grafen nur zur Ausbesserung des Pfarrhofes benutzt, während frühere Pfarrer und Kapläne es für sich persönlich verwandt hätten. Was die Schuldverschreibungen der Schönberger Kapelle angeht, so war der Nachweis leicht zu erbringen, dass er im Sinne der an ihn ergangenen Weisungen gehandelt hatte. Der Graf wird daraufhin, falls es wirklich notwendig war, seinen Pastor gedeckt haben.
Zu einer Verhaftung Bernsteins ist es jedenfalls nicht gekommen. Vielleicht hatte es sich auch bloß um eine leere Drohung des trierischen Amtmannes gehandelt. Immerhin stand Bernstein nach wie vor unter dem niederschmetternden Eindruck des Überfalles vom 6. Juli. Er war sich natürlich völlig darüber klar, dass die Verwarnung des Irmtrauters durch den Amtmann von Brambach keinerlei Garantie für die Zukunft bot. Alle Welt bestätigte ihm, dass er nicht mehr sicher aus dem Hause gehen könne. In seiner Verzweiflung wandte er sich am 25. Juli 1561 ein einem flehentlichen Brief an seinen Schwager, den Superintendenten Bernhardi. Dieses Schreiben in elegantem Humanistenlatein mit artig eingeflochtenen griechischen Versen gibt Zeugnis von der gründlichen Bildung seines Verfassers. Er versäumt nicht, eingangs den Schwager zu erinnern, dass er auf dessen Veranlassung hin die Salzer Pfarrstelle übernommen hatte. Seine dortigen Erlebnisse erscheinen ihm dann als eine wahre Tragödie mit ... all ihren Stufen: Protasis (= der Anfang oder die Einleitung eines dreiaktigen Dramas) waren die anfänglichen Bedrohungen, Epitasis (= die auf die Protasis folgende Steigerung bzw. „Anspannung“ eines dreiaktigen Dramas) die Krankheiten und Verleumdungen. Jetzt aber hat die Katastrophe begonnen mit einer solchen Wildheit und Unmenschlichkeit, dass alle Furien die Leitung dieses Dramas übernommen zu haben scheinen. Was ist zu tun ? Mit den stärksten Worten betont er die Armseligkeit seiner Lage. Noch sei ihm das Gedächtnis durch die heftigen Schläge auf den Kopf elendiglich geschwächt. Er fühle sich so voller Angst, dass er nicht mehr wisse, wo er sei. Ohne Hilfe des Schwagers müsse er ganz verkommen. Mit einigen Fragen sucht er nach Auswegen, um künftigen Gefahren zu entgehen. Sollte man überhaupt noch in der Schönberger Kapelle Gottesdienst halten? Dürfe er nicht fliehen und die Kirche verlassen, wenn es am Ende der Notwehr zu einem Totschlag komme? Weil er aber nicht feige erscheinen möchte, fügt er gleich hinzu, dass er mehr auf das Wohl seiner Kirche als auf sein eigenes Leben bedacht sei. Interessant ist dann die weitere Frage, ob der Irmtrauter noch zur Kommunion zuzulassen sei. Darüber soll der Schwager sich mit den Räten oder den Brüdern einigen und ihm baldigst Bescheid zukommen lassen, „ne in mora sit periculum“ (= damit keine Gefahr droht).
Welches die eigentlichen Motive für die wütende Abneigung des Junkers waren, wird leider nicht ausgesprochen. Umso deutlicher wird aus dem letzten Abschnitt des Briefes klar, dass ein Teil seiner Pfarrkinder an katholischen Gebräuchen festhielt und der neuen Lehre mit grundsätzlichem Widerstand, ja mit Verachtung begegnete. Kürzlich erst, so berichtet Berstein dem Superintendenten, wollten einige seiner Pfarrkinder von ihm das sogenannte Wetterläuten erzwingen. Sie haben, wie er sich dabei ausdrückt, das Evangelium beschimpft und lutherische Ketzerei genannt. Er war bereit, ein Glockengeläute zu bewilligen, das an einem öffentlichen Bettag zum Gebet auffordern solle, aber nicht „in abergläubischer und götzendienerischer Weise“ erfolgen dürfe. Nun beklagt er sich über den hartnäckigen „Aberglauben“ des Volkes, das seinen Vorschlag verabscheute und bloß das Geläute der Glocken begehrte. Infolge ihrer Weihe gäbe es nichts Wirksameres gegen Unwetter. Ein gesunder Instinkt wird hier wohl die Bauern veranlasst haben, konservativ am bloßen „opus operatum“ des Läutens festzuhalten, weil sie spürten, dass der Prädikant den alten Bräuchen neue Sinngebungen unterschob.
Schließlich erwähnt Bernstein auch noch die Gefahren, die ihm von seiten der amtlichen Vertreter der katholischen Kirche in der Nachbarschaft erwuchsen. Der Suffraganeus (= Weihbischof) (zweifellos der Dietkirchener Archidiakon oder sein Stellvertreter) und die übrigen trierischen Geistlichen drohen ihm mit dem Gefängnis. Wiederum frage er: „Was ist zu tun?“, um dann mit dem hübschen ... Wortspiel zu schließen: „Tu cum tuis foelicius, quam nos valemus, valete!“ ( = Du und die Deinen, lebt glücklich und wohl, glücklicher und wohler als wir! )
Doch lassen wir Pfarrer Bernstein selbst zu Wort kommen:
Brief des lutherischen Pfarrers Burgardus Bernstein zu Salz vom 25. Juli 1561 an seinen Schwager, den Superintendenten Bernhard Bernhardi in Dillenburg über die ihm in seinem Sprengel begegnenden Schwierigkeiten und Anfeindungen (vgl. Staatsarchiv Wiesbaden, 116 Salz 1.):
„Doctissimo viro, virtute atque doctrina praestanti domino Magistro Bernardo Bernardi, Nassoviarum ecclesiarum inspectori viliantissimo, suo affini chariss. etc.
Salutem, qua ipse ego nunc destituor, tibi plurinam opto, chariss. affinis. In mea provinica, quam te auctore suscipiebam, multis cum difficultatibus hactenus conflictatus didici illud in ecclesiastico ministerio maxime verum esse, quod vulgo circumfertur: He panton arche dyscolos. Ac fore aliquando existimavi, ut DEVS precibus meis defatigatus, si non malorum finem, respirandi saltem ac mei rursus colligendi spatium aliquod concederet. Verum praeter omnem spem et opinionem alias subinde aliae adversitates cumulatim subsequuntur, quarum saevitia de momento in momentum in dies tantopere crecit, ut etiam mentis fortitudinem, qua innumerabilia sartranae [sic!] tela hactenus, ut scis, superavi, devitura videatur. Nosti, quam turbulenta, quam aspera et quam crudelis protasis ministerii mei erat, cum primo anno, nisi honus Deus cavisset, ab impio quodam essem fere confossus. Quantas vero iniurias quasve minas a Gemundensibus principio sum perpessus! Postea epitasis primum habuit adversissimam valetudinem, cum ego conflictarer cum morbo omnibus medicis ignoto. Deinde Diabolus, medaciorum pater, permulta in me acerba convicia ac virulenta probra spargens meam vitam mendaci suorum lingua dedecoratum atque mihi omnium bonorum invidiam et odium conciliatum voluit. Ita denique corpus conficiebat morbo, animum vero per iniustas calumnias viribus exhauriebat. Ex morbo Die beneficio nonnihil convalui. A diabolicis calumniis magis me vita quam oratio mea purget. Sed, bone Deus, quae catastrophe secutura est! Haec enim non modo non benignior fore videtur, sed tantam ferociam atque immanitatem prae se fert, ut omnes Furias touto to dramati praesidere propemodum dixerim. Audi enim, quam tragicum actum nuper habuerit.
Wilhelmus Irmtrudensis, qui capitali me odio prosequitur ac cupidissime sanguinem meum sitit, Dominica quinta post Trinitatem in Schönbergensi sacello, nisi essem divinitus protectus, me interfecisset. Illo die ecclesiae consuetudo obligat pastorem sacrum in dicto sacello peragere, quibus peractis ego sacra aede egressus forte video Irmtrudensem 4 vel 5 fere passus a coemeterii porta stantem armataque manu statim me affectantem. Ego ad pugnandum non animo, sed armis imparatus eram. Quid enim facerem ineris? Tunc enim ne cultellum habui. Sciebam praeterea nostrum praefectum peregre abesse. Ideo sacellum repetens ad aram confugio, cuius asylia tueri me volebam. Ille me subsequens in ara venabulo adoritur. Primum famam nomenque meum foedissimis conviciis proscindit, deinde hasta corpus mihi confodere tentat. Ego contra nudis manibus hastam cum magna spectatorum admiratione avertens IUS adpello. Ille se nullum ius curare respondens manus, quas ictibus objiciebam, et caput adeo mihi contundit, ut ictuum vehementia memoriae vires misere mihi afflixerit. Tandem ego catechumenos circumstantes imploro, sed frustra, quia furore ac diris execrationibus illius ita erant attoniti, ut apud sese vix essent. Cumque ille verberando, ego vapulando ambo essemus defessi, redit ille ad convicia, ac maledicendo saturatus in meam mortem iurat eb abit. Postea una atque altera hora elapsis, cum vespertina sacra essent inchoanda, redit ille novis armis atque satellitibus instructus. Cuius pertinax ferocia cum ploerisque esset perspecta, ex praetoris iussu verpertina sacra intermisi et ab eo me domum subduxi.
Altera die praefectus Sigena redit ad nos, huic ego prioris diei tragoediam recito, is cum praetore Irmtrudensem a violentia dehortati ad ius revocant. Verum ille an violentiam missam posthac facturus sit, incertum est. Hoc ploerisque constat me propter insidias, quas ille meae vitae stuit, domo tuto exire non posse. Dic nunc, quid ago, obsecro! Tam perturbato sum animo, ut, ubi sim, nesciam. Perii ego, nisi consilio tuo tu me iuveris. Ex vobis cognoscere desidero primum, an in sacello (ubi tam atrox perpetratum est scelus) deinceps sacra fieri debeant. Deinde, si in necessaria vitae defensione caedes committeretur, an fuga esset capessenda et ecclesia deserenda, cuius salute ego magis quam vitae propirae ratione afficior. Item, utrum Irmtrudensis ad communionem deinceps sit admittendus. De his vel cum consiliariis vel cum fratribus delibera et, quid vobis sententiae sit, sine mora recribe, ne in mora sit periculum! Nuper etiam quidam ex meis catechumenis campanarum pulsum ad tempestatum iniquitatem profliegendam vi a me extorquere vluerunt et admodum dire Evangelium (quod Lutheranam haeresim nominant) blasphemarunt. Ego permittebam illis me campanarum pulsum concedere velle, si eo non superstitiose et idolatrice uti, sed ad precationem commoneri velint, atque ideo certum diem publicae precationis destinaram. Verum contumax eorum superstition haec respuit, ac solum modo campanarum pulsum urget. Quia sint lustrali aqua et baptismate conseratae, iis nihil efficadius aut praesentius adversus malas tepestates esse volunt. Quid hic facio? Praeterea suffraganeus et alii Trevirenses (quourum nomina coram recitabo) carcerem mihi minitantur. Quare vos, quid mihi faciendum sit, consulo. Tu cum tuis foelicius, quam nos velmus, valete! Scriptum celerrime, ut vides, et in summa mentis aegritudine Salzae, die S. Jacobi anno 61.
Burgardus Bernstein.“
Deutsche Übersetzung:
„Hochgelehrter Mann, durch Tugend und Gelehrsamkeit ausgezeichneter Herr Magister Bernhard Bernhardi, wachsamer Inspektor der Kirchen von Nassau, lieber Schwager...
Lieber Schwager, ich wünsche Dir alles Gute, mir selbst geht es zur Zeit nicht gut. In meinem Amtsbereich, den ich auf Deine Veranlassung übernahm, hatte ich bis jetzt mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen und ich habe gelernt, dass der bekannte Ausspruch, der allgemein verbreitet wird, im Kirchendienst ganz und gar zutrifft: Aller Anfang ist schwer. Ich habe sogar geglaubt, Gott werde mir einmal, ermüdet durch meine Gebete, wenn nicht ein Ende der Übel, so wenigstens eine Gelegenheit geben, Atem zu schöpfen und mich wieder zu erholen. Aber entgegen aller Hoffnung und Erwartung folgen anderswo gleich darauf andere Widrigkeiten gehäuft und unmittelbar. Deren Heftigkeit wächst im Nu von Tag zu Tag so sehr, dass sie sogar meine tapfere Gesinnung allem Anschein nach besiegen wird, mit der ich bisher, wie Du weißt, unzählige Geschosse (hier folgt das Wort „sartranae“, das wir nicht deuten können. Vermutlich wollte der Pastor hier „satanae“ schreiben, also “unzählige Geschosse des Teufels“) unschädlich gemacht habe. Du weißt, wie stürmisch, wie rau und wie grausam die Protasis (= der Anfang oder die Einleitung eines dreiaktigen Dramas) meines Dienstes war, als ich in meinem ersten Jahr von einem gottlosen Schurken fast niedergestochen worden wäre, wenn es der gütige Gott nicht verhindert hätte. Wie viel Unrecht oder auch welche Drohungen habe ich aber anfangs von den Gemündenern ertragen! Sodann brachte mir die Epitasis (= die auf die Protasis folgende Steigerung bzw. „Anspannung“ eines dreiaktigen Dramas) zuerst eine extreme Verschlechterung meiner Gesundheit, da ich an einer Krankheit litt, die kein Arzt kannte. Darauf verbreitete der Teufel, der Vater der Lügen, sehr viele bittere Schmähungen und giftige Verleumdungen über mich und wollte mein Leben durch die erlogenen Reden seiner Diener entehren und die Missgunst und den Hass aller anständigen Menschen auf mich lenken. So schwächte er meinen Körper schließlich durch die Krankheit, meinem Geist nahm er jedoch durch die ungerechtfertigten Verleumdungen die Kraft. Durch die Gnade Gottes habe ich mich einigermaßen von der Krankheit erholt. Von den teuflischen Verleumdungen wird mich wohl eher mein weiterer Lebenswandel als meine Rede (kann auch Gebet bedeuten) freisprechen. Doch, gütiger Gott, welche Katastrophe soll noch folgen! Diese wird nämlich, wie ich glaube, nicht nur nicht glimpflicher verlaufen, sie lässt vielmehr eine so große Wildheit und Unmenschlichkeit zu Tage treten, dass ich fast behaupten möchte, alle Furien leiten dieses Drama. Vernimm nun aber den tragischen Verlauf, den es kürzlich genommen hat.
Wilhelm von Irmtraut, der mich mit tödlichem Hass verfolgt und mit größtem Verlangen nach meinem Blut dürstet, hätte mich am 5. Sonntag nach dem Dreifaltigkeitsfest in der Schönberger Kapelle getötet, wenn ich nicht durch göttliche Fügung beschützt worden wäre. Ein alter Brauch der Kirche verpflichtet den Pfarrer, an diesem Tag einen Gottesdienst in der genannten Kapelle zu halten. Als ich danach das heilige Gebäude verlassen wollte, sah ich zufällig den Irmtrauter etwa 4 oder 5 Doppelschritte von dem Friedhofstor entfernt stehen, der sogleich mit bewaffneter Hand mir entgegentrat. Zum Kampf fehlte mir nicht der Mut, wohl aber fehlten die Waffen. Was hätte ich denn als Unbewaffneter ausrichten können? Damals hatte ich nämlich nicht einmal ein Messerchen dabei. Zudem wusste ich, dass unser Amtmann in der Fremde war. So ging ich wieder in die Kapelle zurück und sucht Zuflucht am Altar, dessen Asyl mich schützen sollte. Jener folgte mir sofort und griff mich auf dem Altar mit einem Jagdspieß an. Zuerst zerstörte er meinen guten Ruf und meinen angesehenen Namen mit wüsten Beschimpfungen, darauf versuchte er, meinen Körper mit dem Spieß zu durchbohren. Ich hingegen wehrte diesen mit bloßen Händen zur großen Verwunderung der Zuschauer ab und berief mich auf das Recht. Er gab zur Antwort, er kümmere sich um kein Recht. Darauf schlug er mir so heftig auf die Hände, mit denen ich mich gegen die Hiebe wehrte, und auf den Kopf, dass er mit seinen gewaltigen Schlägen mir mein Gedächtnis übel beschädigte. Schließlich flehte ich die anwesenden Gläubigen um Hilfe an, aber vergeblich, weil sie durch seine Wut und seine schrecklichen Verwünschungen derart betäubt waren, dass sie kaum bei Sinnen waren. Als wir beide erschöpft waren, er vom Austeilen, ich vom Aushalten der Schläge, begann er noch einmal zu schimpfen. Dann hatte er genug vom Schimpfen, er schwor mir den Tod und ging davon. Später, als ein oder zwei Stunden vergangen waren und der nachmittägliche Gottesdienst beginnen sollte, kehrte er mit neuen Waffen und Begleitern zurück. Ich habe auf Geheiß des Bürgermeisters den Gottesdienst nicht gehalten und habe mich heimlich von dort nach Hause begeben, weil die meisten seine hartnäckige Kampfeslust deutlich erkannt hatten.
Am nächsten Tag kam der Amtmann von Siegen zu uns zurück. Diesem trug ich die Tragödie des vorherigen Tages vor. Zusammen mit dem Bürgermeister warnte er den Irmtrauter davor, gewalttätig zu werden und forderte ihn auf, das Recht zu achten. Es ist jedoch nicht sicher, ob jener von nun an keine Gewalt mehr anwenden wird. Die meisten sind einhellig der Ansicht, dass ich wegen der heimtückischen Anschläge, mit denen er mir nach dem Leben trachtet, nicht mehr unbesorgt mein Haus verlassen kann. Sag mir jetzt, was ich tun soll, ich flehe Dich an! Ich bin so verwirrt, dass ich nicht weiß, wo ich bin. Ich bin verloren, wenn Du mir nicht mit Deinem Rat hilfst. Ich möchte von euch zuerst erfahren, ob in der Kapelle ( wo ein so abscheuliches Verbrechen verübt worden ist ) noch weiterhin Gottesdienste gehalten werden sollen. Zweitens möchte ich wissen, ob ich die Flucht ergreifen und die Kirche, deren Wohl mir mehr am Herzen liegt als mein eigenes Leben, verlassen soll, sollte es im Fall einer Notwehr zu einem Totschlag kommen. Ebenso möchte ich wissen, ob der Irmtrauter weiterhin zur Kommunion zugelassen werden soll. Darüber berate entweder mit den Räten oder mit den Brüdern und teile mir euren Beschluss unverzüglich schriftlich mit, damit keine Gefahr droht. Vor Kurzem wollten einige meiner Gläubigen mich sogar mit Gewalt dazu zwingen, die Glocken gegen Unwetter zu läuten, und sie haben sehr schlimm über das Evangelium (das sie lutherische Ketzerei nennen) gelästert. Ich gab ihnen nach, ich wolle das Läuten der Glocken gestatten, sofern sie das nicht in abergläubiger und heidnischer Art und Weise bewerkstelligen, sondern zum Gebet gerufen werden wollten, und habe einen Tag für ein allgemeines Gebet festgesetzt. Aber in ihrem verstockten Aberglauben lehnten sie das ab und verlangten hartnäckig nur das Läuten der Glocken. Sie sind der Ansicht, weil die Glocken durch Weihwasser und Taufe geheiligt worden seien, gebe es nichts Erfolgreicheres und Wirksameres gegen Unwetter. Was soll ich hier machen? Außerdem drohen mir der Suffraganeus und andere Trierer (deren Namen werde ich mündlich vortragen) mit dem Kerker. Deshalb frage ich euch um Rat, was ich tun soll. Du und die Deinen, lebt glücklich und wohl, glücklicher und wohler als wir! Geschrieben, wie Du siehst, mit größter Schnelligkeit und größtem inneren Kummer in Salz am Tag des Hl. Jakobus im Jahre 61 (= 25. Juli 1561).
Burkhard Bernstein.“
Weder durch diesen Brief noch durch die Beschwerde beim Amtmann hat der Salzer Pfarrer es erreicht, dass ernstlich gegen Wilhelm von Irmtraut vorgegangen wurde. Er ist zwar einmal vom Grafen vorgeladen worden, blieb aber aus. Man ließ es dann wohl bei einer Verwarnung bewenden. Ein Vierteljahr später beklagt sich Bernstein erneut über den Junker, der andere gegen ihn aufhetze, selbst aber „noch der zeit ohn ernstliche strafe bisanhero geplieben“. Anlass zu diesem neuen Hilferuf war ein Zusammenstoß den er am 18. Oktober 1561 mit dem kurtrierischen Schultheißen des Kirchspiels Kuno Kelner von Gergerode (Girkenroth) gehabt hatte, einem Leibeigenen der Reiffenberger.
An diesem Tag besprach, wie es scheint in einem öffentliche Lokal (Wirtshaus) Pastor Bernstein mit seinem Kaplan Christian gewisse Amtsgeschäfte. Nach einiger Zeit kam Kuno Kelner hinzu setzte sich an ihren Tisch und begann ein Gespräch mit ihnen, in dessen Verlauf er bald in heftigster Weise den Grafen Johann und den Superintendenten Bernhardi angriff. Darin wurde er gegen Bernstein ausfällig und drohte ihm wegen des Schönberger Kirchspiels und der St. Leonhardskapelle mit dem Gefängnis... Dazu bestritt der trierische Schultheiß dem Prädikanten das Recht, die Abgaben der Kapellengemeinde für sich zu verwenden. Bernstein verwahrte sich gegen die Gewaltandrohung und betonte, er habe die Kapelle „mit rechtem Gottes dinst“ versehen und dürfte infolgedessen auch wie seine Vorgänger das Opfer (d.h. wohl die Kollekteneinnahme) für sich gebrauchen. Im übrigen beteuerte er wiederum, dass er das „alt eissen“ mit Erlaubnis des Grafen Wilhelm „zur besserung des verfallenen widenhofs genutzet habe“. Jederzeit sei er zur Rechenschaftsablage bereit und könne nachweisen, dass er keine Kollekteneinnahme zu seinem eigenen Nutzen verwandt habe. Als er dann meinte, es sei jetzt nicht Ort und Zeit über diese Dinge zu reden, wurde der Schultheiß noch ausfälliger und erbitterter und drohte ihm, er müsse alles bei Heller und Pfennig der Kapelle wieder zurückerstatten, oder er werde ihn verhaften. Bernstein berief sich auf den Grafen, kam damit aber schlecht an, steigerte vielmehr den Ingrimm des Schulheißen so sehr, dass dieser „ein puth“ (wohl Pott, d.h. Trinkgefäß) ergriff, auf den Pfarrer warf und zu Tätlichkeiten überging. Dem half kein Protest, der Trierer zog vom Leder und hieb und stach nach dem Armen, der es nur dem Eingreifen dritter Personen zuschrieb, dass er nicht „von im todtlich am leib bescheidiget wordenn“ und nur sein Rock die „malzeichen“ der Kampfeslust seines Gegner aufwies. Bernstein legte Wert darauf, sofort am nächsten Sonntag vor dem „leichtmaister“ Rechenschaft über seine Einnahmen abzulegen. Dann wandte er sich am 28. Oktober 1561 mit einem ausführliche Beschwerdebrief an den dillenburgischen Amtmann Endres von Brambach und ersuchte ihn, auch die anderen Zeugen des Auftrittes zu vernehmen.
Doch dieser beschränkte sich darauf, das Schreiben zunächst einmal nach Siegen weiterzureichen, wo sich damals der Graf aufhielt. Von dort ging aber die Klage postwendend wieder an ihn zurück mit der Antwort, die Zusendung sei überflüssig gewesen; man erwarte von ihm, dass er in solchen und ähnlichen Fällen aus eigener Initiative, „ampts halbenn“, zum Schutz der Angehörigen des gnädigen Herrn vorgehen werde. Es scheint nicht, dass der Amtmann etwas unternommen hat. Seine Passivität lässt vermuten, dass auch er trotz seiner dienstlichen Stellung dem neugläubigen Nachfolger seines Bruders in der Pfarrei Salz nicht besonders gewogen war.
Auch für die maßlose Heftigkeit des trierischen Schultheißen scheint der treibende Beweggrund nicht in den an sich geringfügigen Gegenständen zu liegen, die Bernstein in seinem Brief erwähnt, sondern in der Empörung über die religiöse Neuerung. So wird ohne weiteres verständlich, warum er zu Beginn jenes Auftritts zunächst gegen den Grafen und den Superintendenten Bernhardi „viell lesterliche wort ausgegossen“. Er wendet sich also gegen alle die Personen, die für die Einführung der neuen Lehre im Kirchspiel Salz verantwortlich waren.
Es ist Bernstein auch in der Folgezeit nicht geglückt, die Herzen seiner Widersacher zu gewinnen. Wohl zeigte es sich, dass seine Tätigkeit nicht ganz ohne Erfolg blieb. So gelang es ihm, im nächsten Jahr 1562 eines seiner Pfarrkinder, Johann Elminger aus dem Filialdorf Hahn, auf die Universität Marburg zu schicken, der einzige Fall, dass ein Bürgerlicher aus den vier Kirchspielen, die 1564 an Kurtrier fielen, an einer evangelischen Universität immatrikuliert wurde.
Für ihn selbst brachte dieses Jahr neue Verdrießlichkeiten, als er in Weltersburg den Kirmesmontag mitfeierte. Ein Leibeigener Wilhelm von Irmtrauts namens Gerhart, von Beruf Zimmermann, nannte den Pfarrer in der Wirtschaft einen Dieb und Schelm und drohte er „wolt ein messer in ine stoßen“, dass man ihm „mit leyduchern des orts dannen tragen“ könnte. Bernstein war währenddessen mit seiner Frau bei dem Junker Dietrich von Hadamar zu Gast, der in Weltersburg wohnte. Dorthin kam nun auch Gerhart, randalierte zunächst draußen, „was sie mitt solchem schelmen und diep im hauß thun“, und drang dann in die Stube ein, wo er sich ungeladen an den Tisch setzte, ein Brotmesser in der Hand, mit der er aber weiter kein Unheil anrichtete. Er beschränkte sich vielmehr darauf, Bernstein mit den Worten „paff und schelm“ zu beschimpfen, dicht neben ihm Platz zu nehmen und sich so bedrohlich gegen ihn zu lehnen, dass der Junker der Vorsicht halber sich zwischen beide setzte. Gerhart führte sich dermaßen unanständig auf, dass die anderen es vorzogen, das Zimmer zu verlassen. Im Hinausgehen erfuhr der Pfarrer, dass Gerhart ihn auch schon vorher vor anderen Dieb und Schelm genannt habe. Während Bernstein zuvor mit Rücksicht auf den Gastgeber geschwiegen hatte, war er jetzt so empört, dass er seinen Gegner zur Rede stellte. Der verlegte sich zunächst aufs Leugnen, verstummte aber, als der Zeuge vortrat und seine Behauptung wiederholte. Bernstein gab ihm darauf „einen maulstreich“. Er hielt es dann aber auch im Interesse seiner Ehre für notwendig, einen öffentlichen Widerruf der Beschimpfungen zu erreichen und verklagte den Zimmermann Gerhart vor dem Salzer Ortsgericht.
Monatelang zogen sich nun die Termine hin. Nachdem der Pfarrer den Tatbestand in der geschilderten Wiese dargestellt hatte, bestritt Gerhart wiederum, die beleidigenden Worte gebraucht zu haben. Nur einen „paffen“ habe der den Pastor genannt und so sei „hiebevor und nachmals mancher frommer prister genannt“ worden. Weiter wisse er nichts von ihm, „den alle ehere und gütt“. Bernstein bot nun zwei Zeugen auf, die unter Eid erklärten, dass der Angeklagte auf der Gasse gesagt habe, „was er mit dem paffen zuthun habe, er sey doch ime das sein schuldig und sey dazu ein schelm“. Jetzt räumte Gerhart ein, das Wort Schelm gebraucht zu haben, aber das habe ihm der Pfarrer "„abgezwungen" durch die Ohrfeige, die er ja selbst im Protokoll zugegeben. Zudem habe der Junker Wilhelm von Irmtraut den Kläger oftmals einen Schelm gescholten. Solange der nicht zur Verantwortung gezogen werde, könne man ihm auch keinen Vorwurf machen. Das Wort Dieb habe er nicht gebraucht und ebenso wenig Drohungen ausgestoßen. Für das letztere zwar vermochte Bernstein neue Zeugenaussagen beizubringen. Drei Schöffen des Kirchspiels vernahmen auf seinen Antrag die Frau des Junkers Dietrich von Hadamar. Diese erklärte, ihr Mädchen sei an jenem Tage beim Weinholen in der Wirtschaft von dem Zimmermann, der schon ziemlich getrunken hatte, gefragt worden, wer bei ihnen im Hause sei. Als es darauf den Pastor nannte, habe er gesagt: „Nun durfft ich woll dohin gehen und ein messer in dem schelmen wenden, dan er ist mir das mein schuldig.“ Es scheint, dass Bernstein dem Gerhart die Bezahlung einer Rechnung schuldig geblieben war. Gelegentlich spricht der Zimmermann auch vor dem Ortsgericht über die „seines außstendigen liedlohns halben gethane clage“. Es gelingt dem Pfarrer aber nicht Zeugen vorzuführen, die bekunden, dass der Angeklagte ihn als Dieb beschimpft hat. Wiederholt wird ihm zu diesem Zweck ein Aufschub bewilligt. Inzwischen soll sich aber sein Gegner ... in der Sitzung vom 29. Oktober 1562 ... verantworten, wie er ihn einen Schelm nennen konnte. Gerhart spielt nun seinen Haupttrumpf aus. Er zieht ein versiegeltes Schreiben seines Junkers Wilhelm von Irmtraut aus der Tasche, in dem dieser eigenhändig bescheinigt, dass er „den parher einen ehrlosen schelmen offentlich gescholten und des noch gestendig“.
Darauf fällte das Ortsgericht Salz das salomonische Urteil, dass der Pfarrer sich erst mit dem Junker auseinander setzen und, wie es so schön heißt, sich des Schelmwortes „entledigen“ müsse. Sonst bleibt es also gleichsam an ihm haften. Für die Auseinandersetzung mit dem Adligen aber war das Ortsgericht nicht zuständig.
Bernstein hatte dieses kuriose Urteil kommen sehen. In der vorhergehenden Sitzung vom 15. Oktober war die Absicht des Angeklagten, den Irmtrauter in die Sache hineinzuziehen, bereits deutlich erkennbar geworden. Der Pastor wandte sich deshalb wiederum mit einem Hilferuf an Graf Johann. Dieser wies am 21. Oktober seinen Amtmann Endres von Brambach an, den Schultheißen und Schöffen des Salzer Ortsgerichtes ernstlich zu befehlen, gegen den Angeklagten ohne Rücksicht auf den Junker von Irmtraut vorzugehen (vgl. St.A.W. 116 Salz 1 d fol. 7). Zugleich lässt ihn der Graf deutlich genug wissen, dass er es für selbstverständlich gehalten hat, der Amtmann würde im Sinne der bereits früher ergangenen Anweisungen nicht nur den Pfarrer geschützt, sondern auch bei so wichtiger Sache den Täter gestraft und in Haft genommen haben. Hier zeigt es sich wiederum, dass Endres von Brambach nur sehr lässig den lutherischen Pastor unterstützte. Er wird noch einmal aufgefordert, ihn vor Gewalttaten zu schützen, und den Irmtrauter „bei vermeidung unserer hochsten ungnadt und schwerer straff“ zu ermahnen, den Pfarrer in Ruhe zu lassen.
Aber das Einschreiten des Grafen vermag das Salzer Ortsgericht nicht zu erschüttern. Vielmehr erklärte es auf einem neuen Termin am 24. Dezember 1562, es solle beim vorigen Urteil bleiben. Man „wiß das nitt zuendern“. Zwar habe der Kläger eine schriftliche Anordnung des Grafen beigebracht, der Angeklagte sei ohne Rücksicht auf den Irmtrauter „by sohnnen schein“ zur Verantwortung zu ziehen. Er müsse dann aber auch den Nachweis erbringen, dass die Adligen das Privileg hätten, andere ungestraft nach Belieben zu beschimpfen, ohne dass jemand die Beschimpfung wiederholen dürfe. Wenn das der Kläger dartun könne, so werde man nach Landsgewohnheit gegen den Angeklagten vorgehen.
Ein gut Teil Bauernstolz, Widerwille gegen landesherrliche Eingriffe, Abneigung gegen den Prädikanten und nicht zuletzt auch der Respekt vor dem streitbaren Junker von Irmtraut mögen bei diesem Urteilsspruch zusammengewirkt haben.
Der Territorialherr des 16. Jahrhunderts war, besonders wenn er, wie in unserem Fall, seine Herrschaft mit einem anderen teilte, kein absoluter Fürst und konnte nicht einfach ein solches Urteil, das ihm wie eine Herausforderung erscheinen musste, kassieren. Der Instanzenweg war einzuhalten. Als Appellationsinstanz für solche Fälle, wo nassauische und kurtrierische Interessen einander entgegenstanden, bestand seit 1469 der Oberhof zu Diez, wo von Zeit zu Zeit die beiderseitigen Amtleute und Bevollmächtigten zusammentraten und die anstehenden Fälle entschieden. Doch noch vor dem nächsten Termin müssen eine Reihe von Ereignissen eingetreten sein, die die Lage Bernsteins völlig unhaltbar machten. Nach dem vorläufigen Triumph des Zimmermanns Gerhart scheint die Gegnerschaft ziemlich allgemein geworden zu sein. Jedenfalls sah sich der Pastor im März 1563 genötigt, fluchtartig seine Pfarrei zu verlassen. Er hat später selbst betont, dass die Trierischen, also seine katholischen Widersacher, ihn dazu gezwungen hatten. Ihre kompromisslose Feindschaft bereitete ihm auch weiterhin Sorgen und Schwierigkeiten, denn sie wollten, wie er sich ausdrückt, „des ohnbilligen trangs und zwangs, dadurch sie mich mit weib und kindt von Saltz mit ohnmessigen schaden veriagt und zuweichen genötigt haben, noch nit gesettiget sein“.
Bernstein dachte schon seit einiger Zeit daran, die Stelle zu wechseln. An Cathedra Petri 1563 hatte er bereits im Einverständnis mit dem Superintendenten einen Kaplan als Vizepastor verpflichtet. Dieser hieß Tilmann Krumer, stammte aus dem Filialort Wirsdorf (heute Guckheim) und war vielleicht unter Bernsteins Einfluss Prädikant geworden. Seit einem Jahr hatte er in Nephten bei Siegen Dienst getan. Der Pastor versprach, ihm nach Jahresfrist entweder die Pfarrei Salz oder Ratzenhain (heute Rothenhain) zu überlassen. Denn diese letztgenannte Pfründe hatte er sich inzwischen vom Grafen Johann, der auch hier Patronsherr war, mit Brief und Siegel zusichern lassen. Er stellte sich auch eines Tages dort vor und schickte fürs erste einen Kaplan zu seiner Vertretung hin. Nachdem er dann, offenbar überstürzter als vorgesehen Salz verlassen hatte, ging er doch nicht nach Ratzenhain, sondern nach Siegen. Dort übertrug man ihm am 13.06.1563 die Leitung der Lateinschule, an der er bereits früher als Lehrer tätig gewesen war. Sein Umzug muss sich in ziemlicher Aufregung abgewickelt haben. Einen großen Teil seiner Habe konnte er nicht mitnehmen. Zwar hatte der Graf den Amtmann Endres von Brambach angewiesen, dafür Sorge zu tragen, dass die Bauern Gespanndienste leisteten. Doch dieser berichtete am 22. März, er habe den Befehl zwar weitergegeben, die Bauern hätten jedoch entgegnet, es sei im Salzer Kirchspiel nie Brauch gewesen, einen Pfarrer wegzubringen, es sei vielmehr nur Brauch, ihn am früheren Orte zu holen und auf die Pfarre zu führen. Sie bäten daher untertäniglich, sie „bey altem herbrachtem geprauch hanthaben und lassen“ zu wollen. Fast ironisch klingt die anschließende Versicherung, was ihnen sonst Seiner Gnaden zu dienen gebühre, wollten sie Seiner Gnaden dienstpflichtig jederzeit als Untertanen gehorsamlich erfunden werden.
Bericht des Amtmanns Endres von Brambach an Graf Johann VI vom 22. März 1563 (vgl. St.A.Wsb. 171 D 265 fol. 6):
„Wolgebornner, gnediger herr! Euweren gnaden sein mein jedertzeit schuldige, willige dienst zuvor bereidt. Gnediger herr! Euwerer gnaden an mich gethan schreiben und gnedglichen bevelhen belang her Burckhartten Berenstein, pfaherren zu Saltzs, hab ich dem kirßpell des orts vorhalten laeßenn, das sie gedencken unnd jenen her Burckhartt euwerer gnaden bevellich nach mit sampt weib und kindern und haußraeth hinnuber nacher Syegen fueren laßenn. Druff sie hinwidder mit antwordt begegnnet, sie wissen sich solches in keinen wegh zuberichten noch eintzulaßenn, denn es sey nit begreuchlich geweßen in dem Saltzer kirßpell, das sie einen pfarherren hinwegh gefuerdt haben, sonder es sey preuchlich, inen an anderen ortern zuhollen unnd uff die pfarr zufueren, sunder nicht darvoenn. Bitten derenthalben euwere gnaden undertheniglich, euwere gnaden wollen sie in dem bey altem herbrachtem geprauch hanthaben und laßenn. Was ienen sunst euweren gnaden zuthienen gepuerdt, wollen sie euwerer gnaden dinstpflichtig jedertzeit als underthanen gehorsamblich erfunden werden. Wes euwere gnaden mir nun hierein fernner thun bevelhen, will mich euwerer gnaden bevellichs holten. Deren mich darmit euwerer gnaden zu schuldig gehoersam bevelhende.
Datum den 22. Martz anno (MD) LXIIIo.
Enders von Brambach,
amptman zue Dietzs.“
Möglich, dass auch hier wieder Wilhelm von Irmtraut den Bauern den Rücken gestärkt hat. Der Graf sah sich jedenfalls veranlasst, jetzt gegen den Junker doch etwas zu unternehmen. Am 12. April 1563 wandte er sich an den Trierer Kurfürsten Johann VI. von der Leyen und übersandte ihm eine Bittschrift des Pfarrers Bernstein „gegen Wilhelmen von Irmtraut gewaltsamer thatten und betrowhung“. Da er, der Graf, Ihre Kurfürstliche Gnaden dahin geneigt wisse, „das sie unpillichen gewalt nicht dulden und aber die sach verhört werden muß“, stelle er „underthenigst“ anheim, den Fall beim nächsten Zusammentritt des Oberhofs in Diez mitzuverhandeln. Oder wünsche der Kurfürst etwa einen besonderen Termin anzusetzen?. Der Trierer antwortete schon 2 Tage später wegen einer den Prinzen von Oranien (Graf Johanns Bruder) betreffenden Zollbefreiung und fügt bei, dass er in der Sache des Irmtrauters ihm demnächst Bescheid zukommen lassen wolle. Das geschah dann am 9. Mai. Der Kurfürst erklärte sich damit einverstanden, dass die Sache noch bis zum Zusammentritt des Oberhofs aufgeschoben werde. Es sei dann, fügt er bemerkenswerterweise hinzu, auch dem Junker noch Zeit und Gelegenheit zu geben, seinen Standpunkt schriftlich darzulegen. Sonst könne er sich ja des Übereifers beklagen. Daher habe er es für notwendig gehalten, dem Irmtrauter das Bittgesuch des Pfarrers Bernstein mit dem Ersuchen um Gegenbericht zuzuschicken, und lege ein versiegeltes Schreiben in ihrer beider Namen bei, das der Graf mit der Bittschrift dem Junker zustellen möge. Ob der Graf das getan hat, lässt sich nicht feststellen. Am 10. September 1563 zwischen 7 und 8 Uhr traten die kurfürstlichen und nassauischen Räte zur Tagung des Oberhofes in Diez zusammen. Nach altem Brauch verwahrten sich die Nassauer auf der Diezer Brücke mit feierlichem Protest gegen die Einmischung Kurtriers, ihr Herr sei allein zuständig, wogegen wieder die Trierer sich auf das Recht ihres Kurfürsten beriefen. Nach dieser Zeremonie begab man sich einträchtig an die Arbeit und erledigte bis zum 27. September 152 Fälle. Von der Sache Burkhard Bernstein gegen Wilhelm von Irmtraut findet sich aber keine Spur in den Akten. Entweder ist der Irmtrauter wieder einmal nicht erschienen, oder der Graf ließ die Sache wegen Aussichtslosigkeit fallen, denn dass die Trierer dem gegen alle kanonischen Regeln eingesetzten Prädikanten Recht geben, war ja wohl nicht anzunehmen. Dafür kam es aber zu einer Appellationsverhandlung Bernstein contra Gerhart, bei der sich der Salzer Pastor durch den Rechtsanwalt Matthias Kretzhelder vertreten ließ. Am 20. September wurde das Urteil des Salzer Ortsgerichtes verworfen, und der Angeklagte zum öffentlichen Widerruf sowie zur Erstattung der in beiden Instanzen aufgelaufenen Kosten verurteilt. Er erklärten denn auch, „das er unpillicher weiß den cleger einen schelm gescholten, wiße nichts dan all ehr und guts von ime zusagen“. So erzielte Burkhard Bernstein noch einen kleinen, wenn auch späten Triumph.
Seine Lage besserte sich dadurch keineswegs. Er dachte offenbar nicht daran, nach Salz zurückzukehren, Am 23. Februar 1564, nach Ablauf des vereinbarten Termins, bat der Vizepastor Krumer den Grafen um eine der beiden ihm zugesagten Pfarreien, weil beide ihn gern haben möchten. Auch das Kirchspiel „und der phar Saltzs zugehorige volcker“ machten gleichzeitig, zweifellos auf des Kaplans Veranlassung, eine ähnliche Eingabe mit der Bitte, ihnen Bernstein oder, wenn der nicht wolle, Tilmann Krumer als Pfarrer zu geben. Auch gegen jenen hätten sie sich nicht zu beklagen gehabt, sondern seien mit ihm wohl zufrieden gewesen. Eine erstaunliche Behauptung, nachdem es Bernstein bis zu Stunde noch nicht einmal gelungen war, auch nur einen Bauern zu finden, der ihm seinen Hausrat nach Siegen transportierte, von allem anderen abgesehen! Kaplan Krumer scheint als Kind der Pfarrei durch seine Verwandtschaft und Bekanntschaft im Kirchspiel einen stärkeren Anhang gewonnen zu haben, so dass der Plan des Grafen, in Salz die neue Lehre einzuführen, jetzt mehr Aussicht auf Erfolg zu haben schien, als vorher. Recht inständig baten die Gemeindemitglieder, nachdem sie ihre Bereitwilligkeit bekundet hatten, Bernstein wie Krumer anzunehmen, den Grafen, ihnen jedenfalls einen Pfarrer zu geben. Sie brachten hierbei Motive vor, die von ihrer alten katholischen Erziehung Zeugnis ablegen dürften. Da ist nicht mehr die Rede von der Notwendigkeit der Predigt des lauteren Gotteswortes, sondern von der Gefahr, ohne Geistlichen sterben zu müssen und als Laien und Unverständige „inverderben unser leib und seelen“ zu geraten und „on rychung des nachtmals unsers hern Jesu Christi in unbekundlichen sunden und unbußfertigem leben wie die unvernufftigen dier“ zu verscheiden. Zuletzt wird auch des zunehmenden Verfalls der Pfarrgebäude gedacht, dem am besten durch die Anwesenheit eines an der Pfründe interessierten Pastors gesteuert werden könne. Auf diese Eingaben hin dürfte Kaplan Krumer die Pfarrei erhalten haben.
Doch sollte seine Amtstätigkeit trotz des Anhangs, dessen er sich erfreute, von noch kürzerer Dauer sein als die seines Vorgängers. Bereits am 27. Juli 1564 fiel in Koblenz die Entscheidung über die politische Zugehörigkeit des Kirchspiels Salz, mit der auch die Frage des Religionsbekenntnisses untrennbar verbunden war. An jenem Tag schlossen die nassauisch-dillenburgischen und kurtrierischen Bevollmächtigten den sogenannten Diezer Teilungsvertrag ab, durch den die vier Westerwälder Kirchspiele Hundsangen, Meudt, Nentershausen und Salz sowie das Kirchspiel Lindenholzuhausen, die Dörfer Dietkirchen mit dem Stift und Kreuch an Kurtrier fielen, der Rest der Grafschaft Diez an Nassau. Damit erhielt der Trierer Erzbischof die volle Souveränität über das Kirchspiel Salz und der Reformationsversuch des Dillenburger Grafen war endgültig gescheitert.
Allerdings erfolgte der Wechsel nicht sofort. Noch ein ganzes Jahr hindurch blieb der lutherische Pastor in Salz. Ende Juli überlegten sich die Räte des Dillenburger Grafen, was man mit ihm anfangen sollte. Es wurde in der Sitzung berichtet, die Trierischen unterstünden sich, den Pfarrer von Salz „zu drängen, sich ihrer religion gemes zuhalten, oder abzuweichen“. Man machte sich klar, dass der Graf kein Recht habe, „den Trierischen in veränderung der religion indrag zu thun“. Wohl könnten der Adel und die Untertanen des Kirchspiels, wenn sie „lust hetten, bey der erkannten warheit zubleiben“, gemäß dem Religionsfrieden beim Erzbischof supplizieren, anstehen und bitten, sie bei ihrem Bekenntnis zu belassen und dürften dann nicht mit Gewalt davon abgebracht werden. Die Räte dachten hierbei wohl an die umstrittene Declaratio Ferdinandea. Der Pfarrer solle nach Möglichkeit in Salz bleiben und nicht ohne erhebliche Ursache und besondere Anweisung den Ort verlassen. Wenn die Trierer das aber nicht dulden würden, so müsse man ihn, wie schon früher abgemacht, nach Ratzenhain versetzen.
Dillenburger Protokoll über die Neuordnung der religiös-kirchlichen Verhältnisse in der Grafschaft Diez, ohne Datum und Unterschrift, doch zweifellos vom Juli 1565, da am 25.07.1565 eine Anweisung an den Keller Helling über die Besoldung der 3 Diezer Prädikanten ergeht, die ganz im Sinne eines anschließend und wie die hier wiedergegebene Stelle protokollierten Beschlusses gehalten ist (vgl. St.A. Wsb. 171 D 265 fol. 116, vgl. auch fol. 121):
„Erstlich der religion halben in der graffschaft Dietz.
Nachdem die reformation zum teil angefangen und die tririschen den pfarherrn zu Saltz understehen zu dringen, ihrer religion sich gemes zuhalten oder ab zuweichen, so sey von nöthen, das man bedacht sey, wie die reformation further ins werck bracht, auch gemeltem pfarherr befurderung moge geschehen.
So viel die erhaltung der religion zu Saltz belanget, ist bedacht worden, das der wolgebor, unser g. herr nicht wirdt befugt sein, den tririschen in verenderung der reiligion indrag zu thun. Solchs aber kont unsers erachtens wol vorkommen werden, wo die von adel und underthanen, so in gedachtem kirspel gesessen sein, lust hetten, bey der erkanten warheit zubleiben. Dan auf solchen fahl mochten sie vermöge des religionsfrieden bey dem bischoff suppliciren, ansuchen und bitten, sie bey itziger religion bleiben zulassen, würden auch davon mit gewaldt nicht abgedrungen konnen werden.
Des pfarhers halben ist bedacht, das der selbig ohn erhebliche ursachen und ehe ihm solchs wirdt gebotten werden, nicht leichtlich solle ab ziehen. Wo aber die trierischen ihms je nicht leiden wollten, kont man ihnen vorigen tehanen vertrostung nahe gehen Rotzenhain verordnen.“
Die nassau-dillenburgischen Räte konnten es in der Tat 1565 um so weniger wagen, etwas gegen die Rekatholisierung des nun trierisch gewordenen Salz zu unternehmen, als sie gerade damals selbst die Einführung der Reformation in den ihnen durch den Diezer Teilungsvertrag zugefallenen Kirchspielen begannen, obwohl in diesem bestimmt worden war, es sollten die nassau-diezischen Herren „die unterthanen von der alten religion mit der that nicht abhalten, zwingen oder einige ungnadt derhalben erzeigen, sondern einen jeden seinem gewissen nach bei denen in dem religionfrieden zugelassenen religionen unbeschwert bleiben lassen“ . Auch die Stifte und Klöster sollten „von irer religion nicht abgedrungen, sondern dabei gerugelich gelassen werden.“ Graf Johann war nicht gewillt, Sinn und Wortlaut dieser Bestimmung einzuhalten. Umso weniger konnte er von dem Kurfürsten eine Toleranz der neuen Lehre verlangen, die dieser in dem Vertrag gar nicht zugesagt hatte.
Jedenfalls waren nun die Tage Pastor Tilmann Krumers in Salz gezählt. Wir wissen zwar nicht, wann der Wechsel erfolgte. Doch wird uns drei Jahre später der Name des neuen katholischen Pfarrers genannt. Am 09.12.1568 weist nämlich der Trierer Erzbischof Jakob III von Eltz den Montabaurer Kellner (= Verwalter) Johannes Hermes an, „Michaelenn vonn Hartzigh, pastornn zu Saltz“ jährlich auf Martini 20 Gulden auszuzahlen (vgl. Staatsarchiv Koblenz, 1 C 371 Nr. 45). Nachdem 10 Jahre zuvor ein Prädikant aus Nürnberg begonnen hatte, die neue Lehre einzuführen, wurde nun der alte Glaube von einem aus dem heute belgischen Luxemburg im äußersten Westen des Trierer Erzstiftes stammenden Geistlichen wiederhergestellt, denn Herzig liegt im ehemaligen Archidiakonat Longuyon, Dekanat Arlon. Der Ort heißt jetzt Hachy. Lange blieb dieser Michael von Herzig nicht in Salz. 1577 erwähnen die Sitzungsprotokolle des Landkapitels Dietkirchen unter den nicht anwesenden Geistlichen als Pfarrer unseres Dorfes Marcus Bock, damals zugleich Definitor des Landkapitels und Stiftsherr von St. Georg in Limburg, der 1572 auch Scholasticus und Pastor von Limburg war. „Velut capricornus in hortum immissus“ („wie ein in den Garten geschickter Steinbock“ d.h. „den Bock zum Gärtner gemacht“) glossiert Johannes Mechtel, der später Pfarrer in Elz und Dekan im Georgsstift Limburg war, Anfang des 17. Jhd. anzüglich in seiner Introductio in pagum Logenahe (zitiert bei Carl Knetsch, Die Limburger Chronik von Johannes Mechtel, Wiesbaden 1909, S. 61). Im nächsten Jahr hat er übrigens in Nikolaus Tilmanni einen Nachfolger gefunden. Um dieselbe Zeit, am 15.10.1577, bestimmte der Kurfürst, der im Jahre zuvor den geistlichen Gerichtshof zu Koblenz neu geordnet hatte, dass die jüngst gewonnenen Westerwälder Kirchspiele „hinfürhter in allen gerichtlichen, civil, personal oder real gleich geistlichen sachen, die seien, wie sie wöllen, acitve und passive ohn jemandts scheu, forcht oder hindernus sich unserer geistlichen jurisdiction zu Coblentz gleich andern unsern underthanen beistraff der recht unnd auch vermeidung unserer schwären ungnadenn underwerffen unnd geprauchen“ (vgl. St.A. Koblenz 1 C 37² Nr. 475. Joh. Nik. v. Hontheim, Historia Trevirensis diplomatica 3. Augsburg 1750 p. 91). Der katholische Charakter des Dorfes steht von nun an außer Frage. Es lässt sich nicht feststellen, ob die Wiedereinführung des alten Glaubens auf Schwierigkeiten gestoßen war. Ein kurze Notiz spricht dagegen. Im Dietkirchener Sitzungsprotokoll von 1578 erscheint unter den bewährten Salzer Sendschöffen auch Jungen Thiln von Seinset, der wackere Schönberger Kirchenmeister, der um 1560 einen so schweren Stand in seiner Gemeinde hatte.
Für Burkhard Bernstein war es besonders schmerzlich, dass das Kirchspiel Salz an Kurtrier fiel. Denn nun wurde es immer aussichtsloser, dass er sein dort zurückgelassenes Hab und Gut je wieder bekam. Am 5. Dezember 1564 wandte er sich von Siegen aus noch einmal an den Grafen mit der Klage über die in diesen ganzen Jahren erlittene „ohnbilligheit, gross gewalt und ohnchristliche tyrannei“. Trotz wiederholter Eingaben an trierische Stellen gebe man ihm nichts heraus. Ja selbst ein zu seinen Gunsten ergangenes Urteil des Oberhofs zu Diez werde von dem trierischen Schultheißen nicht respektiert. Dieser stehe ihm vielmehr im Wege, wo er nur könne und beschlagnahme sein Eigentum unter dem Vorwand, er, Bernstein, habe die kirchlichen Fonds geschädigt. So sei ihm sein Vieh und anderes vorenthalten, ja abgenommen worden. Denn der Schultheiß habe es sich angeeignet und für seine Haushaltung geschlachtet und verwandt. Nach eigenem Gutdünken schätze er dann den Wert ab. Bernstein erinnert noch einmal an seine früheren Verteidigungen gegen den Vorwurf, kirchliche Güter veruntreut zu haben, und schließt mit der Bitte, der Graf möge ihm zu seinem Recht verhelfen. Wir wissen nicht, mit welchem Erfolg.
Brief des Burkhard Bernstein an Graf Johann VI. vom 5. Dezember 1564 (vgl. St.A. Wsb. 171 D 265 fol. 47 f.):
„Wolgeporner grave, genediger herr! Welche ohnbilligheit, grosse gewalt und ohnchristliche tyrannei mir in dem kirspel Saltz, dohin mich E.G. ( = Euer Gnaden) herr vater seliger gedechtnis zu einem diener des götlichen worts berueffen und verordinet hatte, geschehen, auch welche gefahr und schaden, beide an leibe und gut, ich daselbst erlitten habe, also daß, nachdem ich etlichmal dasselbige der tririschen oberkeit durch viel supplicationes vergeblichen geklagt und umb gepuhrliche handthabung offt, aber allemal ohnfruchtbarlich angesucht, habe ich endtlich mit weibe und kindt vondannen elendiglich und mit großem schaden muessen abzihen. Solches ist ohn zweiffel E.G. zum theil wissentlich, werden auch zum theil E.G. davon zur genuege von dem superintendenten bericht bekommen. Dieweil aber die gewaltmessige verfolgung, so dasselbigemal im kirpsel Saltz wider mich vorgenomen und angefangen ist, bißanhero ohn ablaßen geweret und noch nit ruhen mage, in dem daß die tririschen des ohnbilligen trangs und zwangs, dadurch sie mich mit weib und kindt von Saltz mit ohnmessigen schaden veriagt und zuweichen genötigt haben, noch nit gesettiget sein wöllen und mögen, sondern vermeinen, auch meine habe und gutter, so ich in dem blötzlichen, ohnverhofftem abzuge doselbst zu Saltz muste hinterlaßen, mir zuentzihen und unter einem falschen schein an sich zubringen unterstehen.
Dan wiewol ich offtmals potschafft dohin gesandt, schrifftlich und anders, das mein begert und meine schulden ordenlich und richtig eingefordert, auch in sachen, davon ich auch des oberhoffs zu Ditz gerichtlich urtheil, werindung, gutten schrifftliche schein und versicherung habe, handthabung gesucht, hat mir niemals pei den tririschen schultheißen zu meinem erlangtem urtheil und rechten executio erspriessen und gedeihen mögen. Sonderlich aber dieweil nun mehe die hohe oberkeit des orts Saltz an die tririschen komen und pei ihnen allein stehet, werde ich forthin von dage zu dage, wie lenger ie mehr, durch den tririschen schultheißen mit ohnbilligen gewalt belästiget.
Dan er nit allein mir zu billigheit und recht keine execution mittheilen und göhnen mage, sondern wo mit er nur kann, stehet er mir im wege, mich an meinen schulden zuhindern, umb das mein zupringen, des er sich durch ohnbilligen vermeinten arest anmasset, darzu er den bößhafftige listen und rencken brauchet, do er des orts Saltz mir alle meine schulde, hab und gutt arestirt und heimlich etlich gulden als vermeinte schuldt der geistlichen fabrice des orts ußstendig mir abwessenden und, als er vermeinte, verstorbenen ufflegte und derhalben mein vihe und anders, so ich im weichen doselbst gelaßen habe, zu sich nehmen und zu seiner haußhaltung nutzen zuwenden und zuschlachten unternimbt etc., auch dasselbige seines eigenens gefallens un mutwillens nach schetzet und zubezalen gedenckt. Was aber ehgemelte vermeinte kirchenschuldten elangt, davon habe ich bevor etlichmalls an den superintendentem und andere E.G. bevählhaber bericht gethan; dieselbige werden hievon fernern berichten und genugsame declaration thun können. Dieweil aber ich wider itzterzelten vermeinten arest und gewaltmessige ohnbilligheit des offtgedachtens tririschen schultheißen an E.G. zusupplicirn und umb genedigen schutz und schirm anzusuchen höchlich genöttiget werde, thue ich derhalben mit unterthenigstem fleiß E.G., pitende umb genedige hulff und schutz wider obgedachte ohnbilligheit und gewalt, untertheniglich ersuchen, ohngezweiffelter zuversicht, es werden E.G. us angeporner löblicher tugent der gerechtigkeit mir hirinne zur furderung der billigheit mit genediger hulffen erscheinen.
Signatum zu Sigen, den 5 ten Decembris im jar nach Christi gepurt 1564.
E.G. unterthänigster
Burghardus Bernstein.“
Kanzleivermerk auf der Rückseite: „M Burghardus Bernstein bittet schutz gegen des schultheissen zu Saltz unbillichen arrest und enthendung ethlicher schulden und viehes, so er daselbst hinderlassen.“
Auch in Siegen ging unserm Prädikanten nicht alles nach Wunsch. Als Rektor der Lateinschule erhielt er nur 100 Gulden im Jahr. Trotzdem scheint er anfangs beabsichtigt zu haben, sich hier für dauernd niederzulassen. Er erwarb sogar ein Haus und machte, wohl in der Hoffnung auf künftige Einnahmen, bei dieser Gelegenheit Schulden. Dann aber verlor er schon 1565 die Rektorenstelle. Die Bürgermeister und Schöffen übertrugen sie ... ohne Wissen des Grafen ... an Johannes Altgeld, der sich mit 80 Gulden Jahresgehalt zufrieden gab. Bernstein wurde nun im Auftrag des Grafen in der kirchlichen Vermögensverwaltung zu Siegen beschäftigt, bemühte sich aber bald wieder um eine Pfarrei. Anscheinend verspürte er nach den in Salz gemachten Erfahrungen keine Lust, auf dem rauen Westerwald zu bleiben. Wieder wusste sein Schwager, Superintendent Bernhardi, Rat. Damals stand die Grafschaft Hanau-Münzenberg unter dillenburgischer Vormundschaft und Bernhardi kannte auch deren kirchliche Verhältnisse genau. Hatte er doch 1563 im Auftrag seines Landesherrn in diesem Gebiet die Reformation eingeführt. So machte er seinen Schwager auf die dort gerade frei gewordene Pfarrei Mittelbuchen aufmerksam, die von ihrem bisherigen Pastor, Johannes Murmelius, heimlich verlassen worden war. Bernstein ließ sich bereden und kam um die Stelle ein. Der Superintendent bemühte sich eigens in einem Schreiben an den ihm bekannten Oberamtmann Engelbrecht von Hergern zu Gunsten seines Schwagers und rühmte unter Verschweigung aller Misserfolge und Zurechtrückung der tatsächlichen Vorgänge Kenntnisse, Charakter und Leistungen Bernsteins, den vor 11 Jahren Melanchthon selbst als Schulmeister nach Siegen geschickt habe. Nur ungern entlasse man ihn aus dem nassauischen Gebiet, da keine Pfarrstelle frei sei. Und dann wird der Bewerber charakterisiert als ein Mann „inn lateinischer und griechischer sprachen trefflich wolerfahren, inn der christlichen lahr und dem predigampt auch wolgeübet, darzu eines ernsten, erbarn und zuchtigen wandels, der auch zu lehren und zu reden sonderliche gnade hat“. Darum habe man ihn in der Grafschaft Diez „uff die fürnehmste pfarr, Saltza genandt, gesetzt, welche kirche er vom bapstumb gereiniget und christlich ahngericht und erbawet“ habe. Nur infolge des Diezer Teilungsvertrages habe er Salz verlassen müssen, weil der Bischof ihn nicht habe dulden wollen. Sicherlich werde die Herrschaft Hanau „ahn ihm sonderlichs gnediges gefallen haben und künfftig zu grossern diensten promovieren“.
Diese warme Empfehlung blieb nicht ohne Erfolg. Bernstein erhielt noch im gleichen Sommer 1566 die Pfarrei Mittelbuchen. Zwar ging der Umzug von der Sieg in die Wetterau nicht sofort vonstatten. Erst nach einiger Zeit konnte unser Prädikant seine Tätigkeit bei der kirchlichen Vermögensverwaltung in Siegen abschließen. Dann war es ihm wieder einmal nicht möglich, einen Fuhrmann zu finden, der Hausrat und Familie an die neue Stelle brachte. Als er schließlich im August 1566 dort ankam, war er entsetzt über den Zustand des Pfarrhauses. Die besten Räume, „schloßhaftige gemache“, seien ihm zudem entzogen, weil hier der durchgegangene Pfarrer sein Mobiliar untergestellt hatte, und im übrigen sei das Haus „an dächen und fachen also wust und verfallen“, dass man unmöglich darin wohnen könne, berichtet er in einer Eingabe an das Hanauer Consistorium mit der Bitte um Abhilfe dieser Missstände.
Nur 2 Jahre blieb Bernstein in Mittelbuchen. Dann ging er nach Bergen bei Frankfurt wo er von 1568 ? 1573 Pfarrer war. Darauf muss er gestorben sein. Um 1575 hält sich seine hinterlassene Frau wieder in Siegen auf. Eine Synode fordert damals von ihr, Brief und Siegel über Haus und Hof abzugeben. (vgl. St.A.W. 171 S. 303 fol. 130). Nach Kruse (1. c S. 33) war Bernstein so verschuldet, dass sein Haus in Siegen in gräflichen Besitz überging. Im nächsten Jahr 1576 ist ... seine Witwe mit dem Landesschultheißen Johann Pfaff von Beilstein vermählt. Bernsteins Tochter heiratete auf Iudica 1581 in Dillenburg den gräflichen Diener Jorge Nophal, Sohn des Amtmanns Stachius Nohphal in Wolzenberg, Amt Birkenfeld.
Zweifellos war Bernstein in seinen letzten Lebensjahren von Sorge erfüllt um das Geschick seines Schwagers, des Superintendenten Bernhardi, der bei Graf Johann VI aus religionspolitischen Gründen in Ungnade fiel. Im Kielwasser der Politik seines Bruders, des Oraniers, näherte sich Graf Johann allmählich immer mehr dem Kalvinismus. Sein Superintendent Bernhardi war aber nicht bereit, ihm hierbei zu folgen. So wurde er denn als zu einseitig und ungebildet auf die vakante Pfarrei Siegen versetzt und seine Superintendantur auf das siegensche Gebiet eingeschränkt. Mit tiefem Groll verfolgte Bernhardi die Weiterentwicklung. Hasste er doch als strammer Lutheraner die Kalviner nicht viel weniger als die „Papisten“. Offen verlieh er seinem Unmut Ausdruck, nannte den Krieg des Prinzen von Oranien ein unchristlich „kalvinisches Werk“ und beklagte die dafür ausgehobenen nassauischen Truppen als traurige Schlachtopfer. Hinzu kam, dass schon seit längerer Zeit sein Lebenswandel Anstoß erregte. Als man ihm sogar unlautere Beziehungen zu der damals in Siegen gefangen gehaltenen und seiner Seelsorge anvertrauten Gemahlin des Oraniers nachsagte, wurde er 1572 ins Gefängnis geworfen und zwei Monate in Haft gehalten. Nach seiner Freilassung erhielt er ein Verbot, irgendwelche Kirchendienste auszuüben, und musste binnen Jahresfrist die nassauischen Lande verlassen. Er ging nach Speyer und trat später in kurpfälzische Dienste, nicht ohne mehrmals, aber erfolglos um eine Rückkehrbewilligung ins Nassauische nachgesucht zu haben. Arm und verachtet ist er schließlich in Wimpfen gestorben.
Was endlich unsern streitbaren Junker von Irmtraut angeht, so lebte er noch bis 1582 auf seinem Hof zu Härtlingen. Hier verschied er am 6. Dezember dieses Jahres und wurde in der Schönberger Kapelle beigesetzt. Erfreulicherweise blieb sein Grabmal daselbst bis zum heutigen Tage erhalten, wenn auch bisher wenig beachtet, weil es aus einer Gipsmasse besteht und keinen besonderen Kunstwert besitzt...
Die Inschrift lautet: ANNO 1582 DEN 6. DECEMBER IST IN GOT VERSCHEIDEN DER EDEL VND EHRNVEST WILLHELM VON ERMTRAVDT ZU HERTLINGEN, DER SELENGOT GENG SEI. Vier Wappen flankieren den Grabstein: Links oben von Irmtraut (springender Bock), unten von Cleeberg (2 Balken und Stern), rechts oben Ring von Gaubickelheim (Ring mit 3 Pickeln), unten Kolb von Wassenach (Adler); seine Großmutter väterlicherseits war nämlich Cunigunde von Cleeberg, mütterlicherseits Margarete Kolb von Wassenach... Vielleicht hat man in früheren Zeiten noch gewusst, dass dieser Junker sich ein, wenn auch nicht gerade legitimes, Anrecht darauf erworben hatte, dass sein Andenken in dieser Kirche nicht untergeht, und darum sein Grabmal geschont. Und so schaut er auch heute noch, wenigstens ... bildlich, den Helm zu Füßen, mit spanischer Halskrause und Harnisch und bieder ... gefalteten Händen, in die Kirche hinein, die er an jenem Julitag des Jahres 1561 mit seinem Toben erfüllt hatte.
Gewiss, wir wollen nicht übertreiben. Ihm allein ist es wohl nicht zu verdanken, dass das Salzer Kirchspiel katholisch blieb, ganz abgesehen davon, dass seine Kampfesmethoden wenig rühmlich waren. Ausschlaggebend wurde die Entscheidung des Diezer Teilungsvertrages. Aber immer schon haben die Darsteller der nassauischen Geschichte sich gewundert, dass der Graf so leichten Herzens damals auf fünf von zwölf Kirchspielen verzichtete, wo er doch zu ¾ das Anrecht auf die Grafschaft besaß. Dass Trier Hundsangen und Nentershausen verlangte, ist verständlich; wurde doch so die Landbrücke nach Elz und Limburg, zum goldenen Grund und nach Villmar hin geschaffen. In Meudt war ohnehin die nassauische Herrschaft durch vielfache Rechte der Isenburger behindert. Und ob nicht bei der Aufgabe von Salz die ... starrsinnige Haltung der Bevölkerung in der Erwägung des Grafen mitgespielt hat, so dass er sich schließlich sagte: Fort mit Schaden? Mag der Trierer diese Basaltköpfe nehmen! Dann wäre der Kampf des Junkers nicht ohne bleibende Auswirkung gewesen.